Gastrecht

Ich war in einem schönen Haus
Und schien darin ein werter Gast,
Die Damen sahn wie Musen fast,
Sogar die Hunde geistreich aus,
Die Luft, von Ambraduft bewegt,
Schwamm wie zerfloßne Phantasie,
Und wenn ein Vorhang sich geregt,
Dann war sein Säuseln Poesie.

Wohl trat mir oft ein Schwindel nah,
Ich bin an Naphtha nicht gewöhnt,
Doch hat der Zauber mich versöhnt,
Und reiche Stunden lebt' ich da,
All was man sagte war so fein,
So aus der Menschenbrust seziert,
Der Schnitt, so scharf und spiegelrein,
Und so vortrefflich durchgeführt.

Da kam ein Tag an dem man oft
Und leis von einem Gaste sprach,
Der, längst geladen, hintennach,
Kam wie die Reue unverhofft.
Da ward am Fenster ausgeschaut,
Ein seltsam Lächeln im Gesicht,
Ich hätte Häuser drauf gebaut,
Der Fremde sei ein Musenlicht.

Und als er endlich angelangt,
Als alles ihm entgegenflog
In den Salon ihn jubelnd zog,
Da hat mir ordentlich gebangt.
Doch schien ein schlichter Bursche nur
Mein Bruder in hospitio;
Vom Idealen keine Spur!
Nur frank, gesund und lebensfroh.

Drei Tage lebten wir nun flott,
Ganz wie im weiland Paradies,
Wo man die Engel sorgen ließ
Und geistreich sein den lieben Gott.
Des Gastes Auge hat geglüht,
Hat freundlich wie ein Stern geblinkt,
Und als er endlich trauernd schied,
Da ward ihm lange nachgewinkt.

O, unsre Wirte waren fein,
Gar feine Leute allzumal,
Schon sank die Dämmerung ins Tal,
Eh ihre Schonung nickte ein,
Und hier und dort ein Nadelstich,
Und schärfer dann ein Messerschnitt,
Und dann die Sonde säuberlich
In des Geschiednen Schwächen glitt.

O sichre Hand! o fester Arm!
O Sonde, leuchtend wie der Blitz!
Ich lehnte an des Gastes Sitz,
Und fühlte sacht ob er noch warm?
Und an das Fenster trat ich dann,
Nahm mir ein allbekanntes Buch
Und las, die Blicke ab und an
Versenkend in der Wolken Zug!

»Einst vor dem Thron Mütassims, des Kalifen
Beschwert mit Fesseln ein Verbrecher stand,
Dem, als vom Trunk betäubt, die Wächter schliefen,
Des Herrschers eigne Hand den Dolch entwand,
Nur dunkel ward die Tat dem Volk bekannt.
Man flüsterte von nahen Blutes Sünden,
Von Freveln die der Fürst nicht mög' ergründen.
Schwer traf die läß'gen Söldner das Gericht,
Wie es sie traf, die Sage kündet's nicht,
Nur dieses sagt sie: daß an jenem Tag
Ein schaudernd Schweigen über Bagdad lag,
Und daß, als man zum Spruch den Sünder führte,
Im weiten Saal sich keine Wimper rührte,
Und daß Mütassims Blick, zum Grund gewandt,
Die Blumen aus dem Teppich schier gebrannt.
Am Throne stand ein Becher mit Scherbet,
Den Gaum des Fürsten dörrten düstre Gluten,
Er fühlte seine Menschlichkeit verbluten
Am Stahle der bedräuten Majestät.
Wer gibt ihm seiner Nächte Schlaf zurück?
Wer seinen Mut zum Schaffen und zum Lieben?
Wer das Vertrauen auf sein altes Glück? –
Dies alles stand in seinem Blick geschrieben,
Weh! weh, wenn er die Wimper heben wird!
Der Frevler zittert, daß die Fessel klirrt.
Als noch der Lohn ihm wässerte den Mund,
Ein kecker Fuchs, und jetzt ein feiger Hund,
Würd' er sich doppelten Verrats nicht schämen,
Doch sieht er deutlich keiner will ihn nehmen,

Schaut zähneknirschend nur zum Fürsten auf;
Die Wimper zuckt! – da drängt ein Schrei sich auf, –
Und wie im Strauch die kranke Schlange pfeift,
An innerm Krampte, will der Sklav' ersticken.
O Allah! wird er sich dem Pfahl entrücken!
Und stürmisch der Kalif zum Becher greift,
Hält mit den eignen Händen den Scherbet
Ihm an die Lippen bis der Krampt vergeht.

Die Farbe kehrt, der Sklave atmet tief,
Sein Auge, irr zuerst, dann fest und kühn,
Läßt lang' er auf des Thrones Stufen glühn,
Dann spricht er ernst: ›Lang lebe der Kalif!
Auf ihn hat sich Suleimans Geist gesenkt;
Ob er auch in gerechten Zornes Flamme,
Zum Marterpfahle einen Gast verdamme,
Den aus dem eignen Becher er getränkt.‹

Da ward Mütassim bleich vor innrer Qual,
Zittern sieht ihn sein Hof zum erstenmal,
Dann plötzlich ward sein Antlitz sonnenhell,
Und, hochgetragnen Hauptes rief er: ›Schnell
Die Fesseln ihm gelöst, ihr Sklaven! frei
Entwandl' er, nur von seiner Schuld gedrückt.‹
Doch zu dem Thron tritt der Wesir, gebückt,
Spricht: ›Fürst der Gläubigen, was soll geschehn,
Wenn er zum zweitenmal den Dolch gezückt?‹
›Allah kerim! das was geschrieben ist
Im Buch des Lebens, drin nur Allah liest;
Allein auf keinem Blatte kann es stehn,
Daß der Verbrecher keine Gnade fand,
Den der Kalif getränkt mit eigner Hand!‹«

Ich schloß das Buch und dachte nach,
An Türken – Christen – mancherlei,
Mir war ein wenig schwül und scheu,
Und sacht entschlüpft' ich dem Gemach.
Wie schien der Blumen wilde Zier,
Wie labend mir die schlichte Welt!
Und auf dem Rückweg hab' ich mir
Die Pferde an der Post bestellt.

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