Mittagstille

Welche tiefe Mittagsschwüle
Lagert überm Tal und zieht mich
Auf das weiche Moos hernieder,
Das, ein grün und goldner Teppich,
Sich um Eichenwurzeln breitet!
Alles still! Kein Lüftchen atmet.
In den mächt'gen Wipfeln rühret
Sich kein Blatt, am See kein Schilfhalm
Neigt sich flüsternd hin und wieder.
Tief im kühlsten Dickicht schlummern
Fink und Amsel, selbst die Sonne
Wandelt, müd und lässig blickend,
Langsam ihre Bahn im Traume;
Und wie alles nun im Kreise
Schweigt und ausruht, wie mir selber
Schwer es lastet auf den Wimpern,
Ist es mir, der Weltgeist schlafe.
Nur die Wolken dort, die luft'gen,
Ewig wechselnden Gestalten,
Ziehn im Blau, wie durch die Seele
Wandelbare Träume ziehen
Schnell geboren, schnell verschwindend.
Jetzt sind's weiße Friedensschwäne,
Schiffe jetzt mit stolzen Wimpeln,
Jetzt ein Schloß, auf dessen Zinnen
Blühend prächt'ge Gärten hangen.
Aus dem Schlosse steigt ein König
Silberbärtig, mit erhobner
Rechten segnet er die Völker;
Nun auf goldnem Wagen thronend
Naht ein hohes Weib, es schimmert
Schneerein ihr Gewand – so dacht' ich
Mir die Freiheit, wenn sie siegreich
Lächelnd hinfährt durch die Städte
Mit der Wage, mit dem Palmzweig.
Weil', o Göttliche! – Vergebens!
Schon zerrinnt die Glanzerscheinung
In die Luft, und neue Bilder
Drängen sich empor am Himmel.

Sind vielleicht die Wolken droben
Lichte Träume nur des Weltgeists,
Wenn er schlummert, Gottgedanken,
Die in luft'gen Stoff gebildet
Durch den klaren Himmel fluten,
Allzu schön für unsre Erde?

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