Die junge Königin

Die junge Königin
Betrachtet ihre gleißen Schuh.
Sie geht mit Unruh durch die Säle,
Mit weißen Wangen den langen Tag,
Und nichts vermag sie zu versöhnen.
Ihr Leben scheint ihr schon vergangen,
Ihr Lächeln und der Jugend Verlangen.
Hofdamen und Hofherrn gehen
Im Schweigen ihr nach
Durch alle Türen, die offen stehen.
Auf glatten Dielen spüren
Sie Windhauch, von Schatten
Unsichtbaren Reigen.
Im Dielenholze ertönen von Geigen seufzende Weisen,
Von leisen Geigen, die keiner sieht,
Die wie unter Schmerzen aufstöhnen.
Nachts gucken die Lichter der Kerzen und des Mondes zu,
Wie Gesichter, die zucken.
Die junge Königin aber geht ohne Ruh,
Bis ihre Augen einmal Alain trafen,
Des Hofes Dichter, im blauen Mondschein eingeschlafen am Altan.
Die Königin sieht nicht, daß gar nicht schön, fast häßlich der Sängersmann.
Die Königin stund und beugt sich und küßt des Schlafenden Mund.
Und das Gefolgt sieht's mit an, entsetzt.
Keiner sich ihr Gelüste erklären kann.
»Ich küßte den Mund, der mir wohlgetan
Mit schönsten Worten, mit tugendhaften, klug erkoren,
Kein Mund in meinem Königreich
Tat's diesem schlafenden Munde gleich.
Doch wer eines Dichters Seele küßt, der stirbt daran.
Schaudernd fühlt sich Unsterblichkeit für Sterbliche und tödlich an.
Wie häßlich, Herrn und Damen, euer Lächeln ist!
Mein Leben, ach, gottlob, daß du nur sterblich bist!«
Die junge, junge Königin,
Sie spricht es hin, –
Starb und lag lächelnd bleich.
Und tot schien sie die Glücklichste im Königreich.

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