Doch eh dies Buch begonnen hat

Doch eh dies Buch begonnen hat,
Dort hat noch ein Kapitel statt.

Bevor den Übermensch ich fand,
Zog ich zuerst verschämt aufs Land,

Lebte als Jüngling herzlos sehr,
Und dieses war besonders schwer.

Die Welt erschien mir noch als Fluch,
Ich floh gar gern in jedes Buch,

Klappte nach mir den Deckel zu,
Nur zwischen Zeilen fand ich Ruh.

Neben dem Druck liebte ich Land,
Viel Landschaft, wo kein Mensch dort stand.

Was von der Menschheit da noch war,
Das Weib, schien im Gehirn nicht klar,

Konnte die holde Lüg' nicht lieben,
Mit der die Frauen leben blieben,

Hatte das Weib nicht in der Nas',
War duftlos noch ein Jünglingshas'.

Ich suchte, was fast überall
Stand fortgerückt im Sennerstall.

Und machten brave Kühe: Muh,
Fragte ich sie: »Ach, Kuh, wozu?«

Ich sah's der Welt nicht lachend an,
Daß sie auch »Muh« mal machen kann.

Ich wollte Wildnis, ging nach Schweden,
Hielt dort im Urwald an mich Reden,

Saß bei einem ganz alten Mann,
Der seinen Flachs sich selber spann.

Hier sah nicht Weisheit nasweis aus,
Denn keine Frau sprach in dem Haus.

Hörte nur diebisch Elstern lachen,
Die wenig Kopfzerbrechen machen.

Ich lebte wie in einer Wolk',
War Redner und auch zugleich Volk.

Das Haus just vor dem Urwald stand,
Wo Liebe ich bei Bäumen fand.

Ich liebte sehr die schmale Birke,
Findend, daß sie als Jungfrau wirke;

In ihren Hüften war sie fein.
Ich zapfte ihren Birkenwein,

Hörte die Blätter buhlend summen
Und lebte stumm mit all dem Stummen.

Blumen standen sinnlich um mich,
Und nur ganz sinnlos lebte ich,

Hörte das Elchtier brünstig schreien,
Fühlte so glücklich mich im Freien,

Sah nachts im Tau die Dächsin äsen
Und dünkte mich ein bess'res Wesen.

Stieg dann der Mond gesund herauf,
Sah ich ganz ungesund hinauf.

Zu sterben schien mir ein Genuß,
Das Leben war nur Todeskuß.

Denn nichts siehst du, wie's freundlich ist,
Wenn du dem Weibe feind noch bist.

Mein weißes Bett war kalte Gruft,
Und ringsdarum nur Zimmerluft.

Im Schwedenhaus waren alt alle,
Vom Vater bis zum Gänsestalle.

Die Gans war fünfunddreißig Jahr,
Das Pferd auch ganz verbogen war,

Katzen am Dach zum Himmel schlichen,
Wie Mumien alt und angestrichen,

Die alte große Riegeltür
Erschlug vor Schwäch' den Menschen schier.

Erhängt ging um im Dachgebälk
Ein Geist, wie alte Wäsche welk,

Auf Schnecken schlich der Tag vorbei
Und war erst schön, ging er entzwei.

Vor Stille von den Haufen Tagen
Konnte das Haus nur »Pst« noch sagen.

Elastisch war nicht mal ein Floh,
Denn altes Blut macht niemand froh,

Ich ging allein zu jung umher,
Wünschend, wenn ich doch grau erst wär'.

Vorwurfsvoll ist es, das was älter,
Und edel darum, weil's gequälter.

Ich neidete dem Pferd, dem alten,
Daß rippig es mit Hängefalten.

Das Alter schien mir wie ein Segen,
Es sagt zu allem: meinetwegen, –

Spricht stets mit sich zum Zeitvertreib
Und kennt's und hält sich fern vom Weib.

Denn ach, das Weib, das war der Knoten,
Empfohlen war es und verboten.

Kam man ihm nämlich mal zu nah,
War Sünd' oder Verlobung da.

So tat ich mich an Bäume halten
Und Hände heiß um Birken falten,

Weil uns die Angst oft tröstend sagt,
Man stirbt nicht dran, was man nicht wagt.

Doch wüßt' ich einmal nur von fern,
Wie tut's, hat man die Frau mal gern.

Die Frau der Kontrapunkt dir ist,
Und schlimm geht's dem, der das vergißt.

Klag' nicht, daß Leben kläglich sei,
Ohn' Weib gibt's keine Melodei.

Wenn Eul' und Kauz verliebt nachts schrie,
Trieb ich statt Lieb' Philosophie,

Welt ohne Will', nur Vorstellung,
Gab meinen armen Nächten Schwung.

Stark war beim Kopf mein Haarwuchs nur,
Wolle und Geist brauchten Schafschur.

Die Schur kam plötzlich unerwartet,
Eh ich im Zölibat erhartet.

Beim Baden kam ein Todeskampf
In der Gestalt vom Wadenkrampf.

Das Wasser ließ mich sanft versinken,
Dem Tod war nicht mehr abzuwinken.

So schön real war just der Tag,
Wo man kein Bodenloses mag.

Primelein gelb wie Narrenschellen
Steckten kokett bei Uferwellen,

Der Amsel Musikantenlachen
Belachte alle Frühlingsachen.

Wie Essig schmeckte heut der Tod,
Sonst schien er mir ein Butterbrot.

Ich dacht': Ach, ließ er sich vertreiben!
Hast du vielleicht noch Briefzuschreiben?

Vielleicht, daß sich die Wade streckt,
Wenn sie Notwendigkeit entdeckt.

Auf einmal war es mir süß klar,
Höchste Notwendigkeit da war:

Das Weib, die mir sonst Kleinigkeit,
War allerhöchst' Notwendigkeit.

Ich kenn' vom Weib noch keine Spur,
Drum, Wade, laß mich leben nur;

So schön ist's heut, hab doch Erbarmen,
Will keine Birke mehr umarmen.

Mann, lieb' das Weib, so wie es ist,
Daß du vom Krampf erlöset bist.

Selbst Wadenkrampf tut dann vergehn,
Tust du schon unter Wasser stehn;

Denn aufgetaucht bin ich still wieder,
Widmend dem Weibe meine Glieder.

Wahrlich, es wär' mein Tod gewesen,
Hätt' ich nicht mal vom Weib gelesen.

Und daß sie Leben viel verleiht,
Davon bin ich die Wirklichkeit.

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