Zweifel und Ruhe

Der Mensch auf halbem Weg entschlief
Im Schatten eines alten Baumes,
In Banden eines süßen Traumes,
Schlief manche Wanderstunde, tief.
Das Laub des Baumes rauschte mild
Und bat den Schlaf: o bleibe lang!
Zum Traume sprach der Vögel Sang:
O male fort dein buntes Bild;
Daß uns der Schläfer nicht erwache,
Er weile unter diesem Dache!

Da kam der Zweifel, ihn zu wecken;
Er klopft ihm auf die Schulter sacht
Und spricht: steh auf, bevor es Nacht,
Zum Ziele sind noch weite Strecken.
Ich bin dein Freund, ein rauher zwar,
Doch treu, und warne vor Gefahr.

Er führt ihn fort durch stille Heiden,
Wo Lust und Zier des Lebens scheiden,
Natur blüht abseit seinem Herzen,
Ihn fassen unversöhnte Schmerzen.
Wie sonst vom stillen Heideland
Der Wandrer Vögel scheucht empor,
So rauscht ihm an des Zweifels Hand
Von Fragen auf ein wilder Chor,
Die schreiend fort zur Ferne dringen,
Doch Antwort nicht zurück ihm bringen.
Dann wird es öder, stiller immer,
Dämmrung versagt den letzten Schimmer;
Der Wandrer schreitet trüb und sacht
Mit seinem Führer durch die Nacht.

Doch wenn ihm auf dem Gang nicht graut,
Und wenn er kräftig horcht und schaut
In seines Herzens tiefsten Grund,
So wird ihm hier der Himmel kund.
Da unten strömt der ewge Quell,
Da klingt es hold, da strahlt es hell,
Er schaut den Brunnen und das Meer
Und fragt nicht mehr: wohin? woher?

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