Stefan George

Stefan George

12.07.1868 - 04.12.1933

Deutscher Dichter und Schriftsteller

Stefan Anton George (* 12. Juli 1868 in Büdesheim, heute Stadtteil von Bingen am Rhein; † 4. Dezember 1933 in Minusio bei Locarno) war ein deutscher Lyriker. Zunächst vor allem dem Symbolismus verpflichtet, wandte er sich nach der Jahrhundertwende vom reinen Ästhetizismus der zuvor in den Blättern für die Kunst propagierten „kunst für die kunst“ ab und wurde zum Mittelpunkt des nach ihm benannten, auf eigenen ästhetischen, philosophischen und lebensreformerischen Vorstellungen beruhenden George-Kreises.

Kindheit und Jugend

George wurde als Sohn des Gastwirts und Weinhändlers Stephan George und dessen Frau Eva (geb. Schmitt) in Büdesheim (bei Bingen) geboren. Er galt als verschlossenes, eigenbrötlerisches Kind, das schon früh zur Selbstherrlichkeit neigte. Ab 1882 besuchte er das Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt. Nebenbei lernte er selbstständig Italienisch, Hebräisch, Griechisch, Latein, Dänisch, Niederländisch, Polnisch, Englisch, Französisch und Norwegisch, um fremde Literaturen im Original lesen zu können. Seine Sprachbegabung veranlasste ihn auch, mehrere Geheimsprachen zu entwickeln. Während seiner Schulzeit entstanden erste Gedichte, die ab 1887 in der mit Freunden gegründeten Zeitung Rosen und Disteln erschienen und in den 1901 veröffentlichten Band Die Fibel aufgenommen wurden. Nach seinem Abitur (1888) bereiste George die europäischen Metropolen London, Paris und Wien. In Wien lernte er 1891 Hugo von Hofmannsthal kennen. In Paris traf er auf den Symbolisten Stéphane Mallarmé und dessen Dichterkreis, der ihn nachhaltig beeinflusste und ihn seine exklusive und elitäre Kunstauffassung des l'art pour l'art entwickeln ließ. Seine Dichtungen sollten sich jeglicher Zweckgebundenheit und Profanierung entziehen. Zu Georges Pariser Kontaktpersonen gehörte auch Paul Verlaine. Unter dem Einfluss der Symbolisten entwickelte George eine Abneigung gegen den in Deutschland zu jener Zeit sehr populären Realismus und Naturalismus. Seit 1889 studierte er drei Semester lang an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, brach sein Studium jedoch bald ab. Danach blieb er sein Leben lang ohne festen Wohnsitz, wohnte bei Freunden und Verlegern (wie Georg Bondi in Berlin), auch wenn er sich zunächst noch relativ häufig in das Elternhaus in Bingen zurückzog. Zwar hatte er von seinen Eltern ein beträchtliches Erbe erhalten, doch lebte er stets sehr genügsam. Als Dichter identifizierte er sich früh mit Dante (als der er auch beim Münchner Fasching auftrat), dessen Divina Comedia er in Teilen übersetzte.

kunst für die kunst

Vor allem sein frühes Werk zeugt von dem Versuch, eine lyrische Erneuerung in Deutschland durchzuführen. 1892 gründete er zusammen mit Carl August Klein die Zeitschrift Blätter für die Kunst, die, ganz im Geiste des l’art pour l’art von Baudelaire, Verlaine und Mallarmé, im Dienst einer „kunst für die kunst“ standen. In dieser Zeit entstanden die Gedichtbände Hymnen, Pilgerfahrten, Algabal, Die Bücher der Hirten und Preisgedichte, Das Jahr der Seele und Der Teppich des Lebens. Die „Blätter“ erschienen bis 1919 im Privatdruck in unregelmäßigen Abständen mit insgesamt zwölf Folgen von jeweils fünf Heften à 32 Seiten, einige von ihnen als Doppelausgaben. Die Anfangsauflage betrug 100 Exemplare, die sich später bis auf 2000 steigerte. Auf dem Titelblatt wurde bis zuletzt die Exklusivität hervorgehoben: „Diese zeitschrift im verlag des herausgebers hat einen geschlossenen von den mitgliedern geladenen leserkreis.“ Die ersten Auflagen lagen nur in drei ausgewählten Buchhandlungen in Berlin, Wien und Paris aus. Die Mitglieder waren namentlich im „Kreis der Blätter für die Kunst“ vertreten.

George trat in dieser Zeit in Lesungen vor ausgesuchtem Hörerkreis auf. Während er in ein priesterliches Gewand gekleidet seine Verse verlas, lauschte das Publikum ergriffen. Anschließend empfing er einzelne Zuhörer zu Audienzen in einem Nebenzimmer. Seine Bücher waren ungewöhnlich gestaltet und zunächst nur in intellektuellen Kreisen vorhanden. Auffallend war vor allem deren Schriftbild: in gemäßigter Kleinschreibung gehalten, Versalien nur für Versanfänge, teilweise Eigennamen und andere Betonungen. Ab 1904 erschienen Georges Drucke in einer eigenen Drucktype, der so genannten St.-G.-Schrift, die vorgeblich auf Georges eigener „Handschrift“ basierte. Ein Merkmal ist die teilweise Verwendung des (in diesem Zusammenhang als Hochpunkt bezeichneten) erhöhten Punktes statt des Kommas.

Georges Ausführungen über die Kunst fanden bald wachsenden Anklang im geisteswissenschaftlichen Raum. Dies lag vor allem daran, dass der Mitarbeiterkreis der Blätter für die Kunst Einfluss auf die Literaturwissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts hatte. Der George nahestehende Friedrich Gundolf hatte beispielsweise den Lehrstuhl für Germanistik an der Universität Heidelberg inne und sorgte mit Monographien über Johann Wolfgang von Goethe und William Shakespeare für Aufsehen. Karl Wolfskehl hingegen leistete bedeutende Arbeit auf dem Gebiet der Übertragung alt- und mittelhochdeutscher Dichtung.

Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit war George als kongenialer Übersetzer aktiv, der die jeweiligen Originale übersetzte und umdichtete, wobei er ihren Sinn und Rhythmus mit zu übertragen versuchte.

George-Kreis

Ab etwa 1892 versammelten sich gleichgesinnte Dichter um George, die sich mit ihm geistig verbunden fühlten. Maßgebend für die Anschauungen des sogenannten George-Kreises waren Georges Veröffentlichungen. Zunächst war es ein Bund Gleichgestellter, der sich um die Blätter für die Kunst scharte; zu ihnen gehörten Paul Gerardy, Karl Wolfskehl und Ludwig Klages, Karl Gustav Vollmoeller und andere. Zu diesem Zeitpunkt war der Bund zwar auf George hin ausgerichtet, aber die Struktur blieb lose. Nach 1900 änderte sich der Charakter des Kreises. Mit dem Beitritt neuer und jüngerer Mitglieder änderte sich auch das Verhältnis zum „Meister“. George fühlte sich als Bildner und Lehrmeister der Jugend. Vornehmlich Friedrich Gundolf, später auch die drei Brüder Stauffenberg folgten ihm wie Jünger.

Zu Georges engen Vertrauten zählte anfangs auch der Wiener Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal. Die Beziehung war von Seiten Georges, der sich homoerotisch zu Männern hingezogen fühlte, ausgegangen. Sein ungestümes Drängen jedoch ließ die Faszination Hofmannsthals, der den sechs Jahre älteren George an Heiligabend 1891 nichts ahnend besuchte, in Angst umschlagen. Georges Besessenheit ging so weit, dass er den 17-Jährigen sogar zum Duell aufforderte, weil Hofmannsthal sein Werben angeblich falsch gedeutet habe. Dazu kam es nicht, aber Hofmannsthal fühlte sich von George derart verfolgt, dass er in seiner Verzweiflung schließlich seinen Vater um Hilfe bat, dem es mit einem klärenden Gespräch gelang, Georges Nachstellungen zu unterbinden.

Der geistige Umgang der beiden dauerte dennoch fast 15 Jahre an, wobei George immer die Rolle des bestimmenden älteren Freundes einnahm. Gleichwohl wehrte sich Hofmannsthal, bei aller Hochschätzung der dichterischen Genialität Georges, gegen die persönliche Vereinnahmung durch ihn und seinen Kreis. Aus dieser Zeit stammt ein intensiver Briefwechsel. Hofmannsthal stellte in seinem „Gespräch über Gedichte“ (1903) das berühmte, aus dem „Jahr der Seele“ stammende Gedicht vor, mit dem George diesen Zyklus einleitet. Für viele zählt es zu den schönsten Zeugnissen lyrischer Landschaftsmalerei:

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade.
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.
Dort nimm das tiefe gelb. Das weiche grau
Von birken und von buchs. Der wind ist lau.
Die späten rosen welkten noch nicht ganz.
Erlese küsse sie und flicht den kranz.
Vergiss auch diese lezten astern nicht.
Den purpur um die ranken wilder reben.
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.

Es wurde immer klarer, dass die gegenseitigen Erwartungen enttäuscht wurden und ihre künstlerischen Vorstellungen immer weiter auseinandergingen. So konzentrierte sich George auf die Lyrik und verlangte Gefolgschaft, der sich Hofmannsthal allmählich entzog, zumal er sich auch dem Drama und anderen Formen gegenüber aufgeschlossen zeigte. Auf die Widmung seines Trauerspiels „Das gerettete Venedig“ von 1904 an George reagierte dieser ablehnend. Er bescheinigte Hofmannsthal, dass der Versuch, den „Anschluss an die große Form zu finden“, misslungen sei. Im März 1906 brachen sie den Kontakt ganz ab. Noch dramatischer erging es dem Heidelberger Professor Friedrich Gundolf, der sich in einem derartigen Hörigkeitsverhältnis zu ihm befand, dass er den Ausschluss aus dem George-Kreis (Grund war seine Heirat 1926 mit Elisabeth Salomon, die der eifersüchtige George nicht duldete) nicht verwand. 1927 erkrankte er an Krebs, an dem er 1931 starb. Mit Ausschluss und Verachtung strafte George auch nach dessen Verehelichung den Germanisten Max Kommerell, den Mentor des jungen Claus von Stauffenberg in Georges "Staat".

Die drei Brüder Stauffenberg, darunter der spätere Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg (s.u. Bedeutung), gehörten seit 1923 zum Kreis Georges. Um 1930 bestimmte er Berthold als seinen Nacherben nach Robert Boehringer.

Wandel zum Propheten

Ab 1907 – George war fast 40 Jahre alt – ist eine Zäsur in Georges Kunstbegriff zu erkennen. Seine Werke entsprachen nicht mehr dem Anspruch der so genannten selbstgenügsamen Kunst, sondern gewannen zunehmend einen prophetischen und religiösen Charakter. Fortan fungierte George zunehmend als ästhetischer Richter oder Ankläger, der gegen eine Zeit der Verflachung anzukämpfen versuchte. Anlass hierzu war vor allem die Begegnung Georges mit dem vierzehnjährigen Maximilian Kronberger 1902 in München. Nach dem plötzlichen Tod Kronbergers 1904 stellte George ein Gedenkbuch zusammen, das 1906 mit einer Vorrede erschien, in der „Maximin“ (so nennt ihn George) zum Gott erhoben wurde, der „in unsere Kreise getreten war“. Inwiefern dieser „Maximin-Kult“ tatsächlich ein gemeinsamer des Kreises war oder eher ein privater Georges, der dadurch, dass er die Göttlichkeit Maximins erkannt hatte, seine eigene zentrale Stellung rechtfertigen wollte, ist schwierig zu rekonstruieren.

Außerdem war der thematische Bruch Georges in dessen Privatleben begründet. In jener Zeit hatte er sich vom okkulten Kreis Ludwig Klages’ und Alfred Schulers abgewandt und den Kontakt zu Hugo von Hofmannsthal abgebrochen. Der Wegfall einiger Anhänger und die Nachfolge durch jüngere Dichter sorgten für einen Wandel der Blätter für die Kunst. Die nun teilweise auch anonym veröffentlichten Gedichte rückten ins Metaphysische und behandelten zunehmend apokalyptische, expressionistische und esoterisch-kosmische Themen. Auch der George-Kreis hatte sich dadurch verändert. War er zuvor eine Vereinigung Gleichgesinnter, wandelte er sich nun zu einem hierarchischen Bund aus Jüngern, die sich um ihren höhergestellten Meister George scharten.

Wichtige Arbeiten, die auf dieser Grundlage entstanden, waren der 1907 veröffentlichte Gedichtband Der siebente Ring, in dessen Zentrum der Zyklus Maximin steht. Den Höhepunkt erreichte die Entwicklung mit dem 1913 veröffentlichten, formstrengen Gedichtband Der Stern des Bundes, in dem Maximin – „Du stets noch anfang uns und end und mitte“ – als „Stern“ des „Bundes“, d. h. des George-Kreises, gefeiert wurde.

Kriegsablehnung und Idol der Jugend

George fiel nicht in die allgemeine Kriegseuphorie ein. Stattdessen prophezeite er einen für Deutschland düsteren Ausgang. So formulierte er in seinem zwischen 1914 und 1916 entstandenen Gedicht Der Krieg:

Zu jubeln ziemt nicht: kein triumf wird sein ·
Nur viele untergänge ohne würde..
Des schöpfers hand entwischt rast eigenmächtig
Unform von blei und blech · gestäng und rohr.
Der selbst lacht grimm wenn falsche heldenreden
Von vormals klingen der als brei und klumpen
Den bruder sinken sah · der in der schandbar
Zerwühlten erde hauste wie geziefer..
Der alte Gott der schlachten ist nicht mehr.
Erkrankte welten fiebern sich zu ende
In dem getob. Heilig sind nur die säfte
Noch makelfrei versprizt – ein ganzer strom.

Das Kriegsende 1918 und die allgemeine Zerstörung und das Chaos empfand George als Bestätigung seiner Visionen. In der Weimarer Republik wurde er zum Idol einer idealistischen Jugend. Zu Georges Verehrern innerhalb der weitgefächerten "bündischen" Jugend zählten sowohl nationalistisch orientierte als auch republikanisch gesinnte Jugendliche, zionistisch geprägte Jugendliche als auch antisemitisch eingestellte. Zu den George-Jüngern Georges gehörte der junge Historiker Ernst Kantorowicz ("Kaiser Friedrich der Zweite", 1927). Klaus Mann erinnerte sich an Georges Popularität später wie folgt: „Inmitten einer morschen und rohen Zivilisation verkündete, verkörperte er eine menschlich-künstlerische Würde, in der Zucht und Leidenschaft, Anmut und Majestät sich vereinen.“ George konnte den künstlerisch interessierten Jugendlichen offenbar mit seiner Person eine Stütze bieten, die dem Nihilismus der Zeit widersprach. George selbst stand der Republik skeptisch gegenüber. 1927 wurde ihm der erste Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main verliehen. George lehnte jedoch ab. Ab 1921 verbrachte George den Sommer in Königstein im Taunus. Umsorgt wurde er hier von seiner Schwester Anna, die sich 1918 in Königstein niedergelassen hatte.

Das neue Reich

In seinem Spätwerk Das neue Reich (1928) verkündete George eine hierarchische Gesellschaftsreform auf der Grundlage einer neuen geistig-seelischen Aristokratie. Sich auf diesen Gedichtband berufend, wollten die Nationalsozialisten George für ihre Zwecke einspannen. George verfolgte jedoch die Verwirklichung eines Reiches auf rein geistiger Ebene und wollte keine politische Verwirklichung eines hierarchischen und totalitären Systems. Deswegen lehnte er die Gesuche der Nationalsozialisten ab. Nach der Machtübernahme 1933 bot Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ihm die Präsidentschaft einer neuen deutschen Akademie für Dichtung an. Auch dieses Angebot lehnte George ab, ebenso blieb er der von Parteiseite pompös inszenierten Feier zu seinem 65. Geburtstag fern. Stattdessen begab er sich, bereits schwer erkrankt, in die Schweiz, wo er am 4. Dezember im Krankenhaus von Locarno starb. Ob er mit dieser letzten Reise ein Exil suchte oder nur einen vorübergehenden Aufenthalt plante, ist ungeklärt. George wurde auf dem Friedhof von Minusio bestattet. An seinem Begräbnis nahmen auch die Brüder Berthold und Claus Schenk Graf von Stauffenberg teil.

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