Der Waldmann

Der Wandrer eilt das Tal hinauf,
Er steigert fast den Schritt zum Lauf,
Der Pfad ist steil, die Nacht bricht ein,
Sie Sonne sinkt in blut'gem Schein,
Die Nebel ziehn um den Drachenstein.

Und wie er bald das Dorf erreicht,
Ein seltsam Bild vorüber schleicht,
Gespenstisch fast, unheimlicher Gast; –
Drückt ihn annoch des Lebens Last?
Gewährt das Grab ihm keine Rast?

»Ihr friedlichen Leute, was zaget ihr,
Und kreuziget euch, und zittert schier?« –
Ob mir das Haar zu Berge steigt,
Ich sag's dir an, wenn alles schweigt:
Es hat der Waldmann sich gezeigt.

»Der Waldmann?« – Ja. Du wirst nicht bleich,
Du bist hier fremd, ich dacht es gleich;
Ich bin ein achtzigjähr'ger Mann,
Und war ein Kind, als sich's entspann,
Ich bin's, der Kunde geben kann.

Die Drachenburg stand dazumal
Stolz funkelnd noch im Sonnenstrahl;
Da lebte der Graf in Herrlichkeit,
Bei ihm, bewundert weit und breit,
Das junge Fräulein Adelheid.

Der Schreiber Waldmann, höflicher Art,
Trübsinnig, blaß und hochgelahrt,
Erfreute sich der Gunst des Herrn;
Er sah das Fräulein nur zu gern,
Und der Versucher blieb nicht fern.

Zu reden wie er, kein andrer verstund;
Er webte fein mit falschem Mund
Das Netz, womit er sie umschlang;
Er sprach von Lieb, er sprach von Rang,
Von freier Wahl und hartem Zwang;

Von Gott und Christo nebenbei,
Und Sündenhaftes allerlei;
So hat er sie bestürmt, geplagt,
Gequält, umgarnt, sei's Gott geklagt,
Bis sie ihm Liebe zugesagt.

Spät ward's dem Vater hinterbracht,
Sein Zorn, sein Mitleid sind erwacht;
Sein Kind Erbarmen bei ihm fand,
Der falsche Schreiber ward verbannt,
Bei Leibesstrafe von Burg und Land.

Schön Adelheid in Tränen zerfloß,
Der Waldmann aber irrt' um das Schloß;
Er kannt nicht Ruh, er wußt nicht Rat,
Er wütete, brütete früh und spat,
Und sann auf schauerliche Tat.

Er sandt ihr heimlich einen Brief,
Wovor es kalt sie überlief:
»Zusammen sterben!« hieß es darin,
»Getrennt zu leben, bringt keinen Gewinn,
Nach einem Dolchstoß steht mein Sinn.

Du schleichst zu Nacht aus des Schlosses Raum
Und stellst dich ein beim Kästenbaum;
Bestellt das Brautbett findest du,
Das Bett zur langen, langen Ruh,
Am Morgen deckt dein Vater uns zu.«

Und wie in schwerem Fiebertraum
Zog's sie zu Nacht nach dem Kästenbaum.
Ob da sie selbst den Tod begehrt,
Ob widerstrebt, ob sich gewehrt,
Die Nacht verbirgt's, kein Mensch es erfährt.

Der Tag, wie er in Osten ergraut,
Hat erst das blut'ge Werk geschaut:
Er hat in der Geliebten Brust,
Die Liebe nur atmet und süße Lust,
Den Dolchstoß sicher zu führen gewußt.

Wie aber sie sank in seinen Arm,
Ihr Blut verspritzte so rot und warm,
Da merkt' er erst, wie das Sterben tut,
Da ward er feig, da sank sein Mut,
Da dünkt' es ihn zu leben gut.

Er hat die Leiche hingestreckt,
Und ist entflohn, und hat sich versteckt.
Es ward das Schrecknis offenbar,
Wie kaum die Arme verblichen war;
Der Vater zerraufte sein greises Haar.

Er hat dem Mörder grausig geflucht:
Dem Tod zu entkommen, der drohend ihn sucht;
Er hat das Grab der Tochter bestellt,
Er hat sich bald zu derselben gesellt;
Sein Stamm verdorrt, die Burg zerfällt.

Der Waldmann dort bei den Gräbern haust,
Beim Kästenbaum, wann der Sturm erbraust,
Gespenstisch fast, unheimlicher Gast; –
Drückt ihn annoch des Lebens Last?
Gewährt das Grab ihm keine Rast?

Man weiß es nicht, doch wann er steigt
Hinab zu Tal, im Dorfe sich zeigt,
So folgt ihm Unheil auf dem Fuß;
Verderben bringt sein ferner Gruß,
Und wen er anhaucht, sterben muß.

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