Die Mutter und das Kind

Wie ward zu solchem Jammer
Der stolzen Mutter Lust?
Sie weint in öder Kammer,
Kein Kind an ihrer Brust;
Das Kind gebettet haben
Sie in den schwarzen Schrein,
Und tief den Schrein vergraben,
Als müßt es also sein.

Wie da die Erde fallend
Auf den versenkten Sarg
Ihn dumpf und schaurig schallend
Vor ihren Augen barg,
Hat Tränen sie gefunden,
Die nicht zu hemmen sind,
Sie weint zu allen Stunden
Um ihr geliebtes Kind.

Wann andrer Lust und Sorgen
Der laute Tag bescheint,
Weilt schweigsam sie verborgen
In finstrer Klaus und weint;
Wann andrer Schmerzen lindert
Die Nacht, und alles ruht,
Vergießt sie ungehindert
Der Tränen bittre Flut.

Wie einst sie unter Tränen
Die stumme Mitternacht
In hoffnungslosem Sehnen
Verstört herangewacht,
Sieht wunderbarer Weise
Das Kindlein sie sich nahn,
Es tritt so leise, leise,
Es sieht sie trauernd an.

O Mutter, in der Erden
Gewinn ich keine Rast,
Wie sollt ich ruhig werden,
Wenn du geweinet hast?
Die Tränen fühl ich rinnen
Zu mir ohn Unterlaß,
Mein Hemdlein und das Linnen,
Sie sind davon so naß.

O Mutter, laß dein Lächeln
Hinab ins feuchte Haus
Mir laue Lüfte fächeln,
Dann trocknet's wieder aus,
Und scheinet deinem Kinde
Dein Auge wieder klar,
Umblühn es Ros und Winde,
Wie sonst es oben war.

O weine nicht! sei munter!
Was helfen Tränen dir?
Komm lieber doch hinunter
Und lege dich zu mir;
Da magst du leise kosen
Mit deinem Kindelein,
Du liegst auf weichen Rosen
Und schläfst so ruhig ein.

Sie hat aus süßem Munde
Die Warnung wohl gehört,
Sie hat von dieser Stunde
Zu weinen aufgehört.
Wohl bleichten ihre Wangen,
Doch blieb ihr Auge klar;
Sie ist hinab gegangen,
Wo schon ihr Liebling war.

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