India

Oft, wenn der Lebenstag mit dumpfer Schwüle
Auf meinem Haupte drückt,
Eil' ich zu dir, daß frische Dämmerkühle
Die müde Stirn erquickt.

Vom Glanz der Erdenjugend noch umflossen,
Vom Frührot überglüht,
Ist, reich in Duft und Farbenpracht erschlossen,
Dein Garten aufgeblüht.

Hoch von des Himalaya eis'ger Klippe,
Dem ältsten Götterdom,
Stürzt sich, ein Gott, Begeistrung auf der Lippe,
Herab der Gangesstrom;

Und Tempel, die das Weltgeheimnis hüten,
Stehn längs der Flut gereiht;
Im heil'gen Kelche ihrer Lotosblüten
Schläft die Unsterblichkeit.

Dort unter deiner Pflanzenwelt Titanen
Sitz' ich in Waldesnacht,
Wo tiefer noch das Ranken der Lianen
Das ernste Dunkel macht,

Wo von den Felsen, die vor Alter wanken,
In den Granit gehaun,
Auf mich herab die riesigen Gedanken
Vergangner Tage schaun.

Die Baniane steigt, das Kind der Tropen,
Breitästig himmelauf;
Durchs Dickicht fliehen schlanke Antilopen
Dahin in scheuem Lauf.

Und zu mir, Lilien um die Stirn gewunden,
Das Auge gottbeseelt,
Gesellt Vyasa sich, der mir die Kunden
Von alter Zeit erzählt,

Indessen oben in den Palmenbäumen,
Wie sie der Windhauch schwingt,
Ein Geist der Urzeit von den Wunderträumen
Der ersten Weltnacht singt.

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