Reede Von Rhodos

Langsam vom Wind dahingetrieben, gleitet
Das Schiff durch weißbeschäumte Flut;
In Schlaf und Traum sind alle rings vertieft;
Das Mondlicht trieft
Durch Nebelflor herab, der hingebreitet
Auf Inselstrand und Wellen ruht.

Doch nein; nicht von dem Mond ist das Gefunkel,
Das zitternd auf den Wogen wallt;
Nah flammt's, und näher nun, als wär's der Strahl,
Den ein Fanal
Vom Felsen wirft, und dämmernd aus dem Dunkel
Steigt eine riesige Gestalt.

Vom Nebel lösen sich die Glieder;
Ein Arm, gigantisch ausgestreckt,
Taucht aus der Finsternis, in seiner Hand
Ein Fackelbrand,
Von dem die Glut im Windhauch auf und nieder
Mit roter Flammenzunge leckt.

Weitleuchtend strahlt die Stirn des Sonnenriesen
Aufs Meer hinaus – der Nebel fällt –
Da steht er ganz, der mächtige Koloß
Des Helios,
Glorreich, so wie der Dichter ihn gepriesen,
Der Ruhm von Rhodos und der Welt.

Auf Felsen, zu des Hafens beiden Seiten
Die eh'rnen Füße hingestemmt,
Ragt er empor; von Segeln ringsumher
Erglänzt das Meer,
Und unter seinen ries'gen Gliedern gleiten
Sie in den Hafen ungehemmt.

Ich selbst mit ihnen. Welch ein Wald von Masten!
Hier Griechenschiffe, Kiel an Kiel,
Auf jedem vorn das Dioskurenpaar,
Das in Gefahr
Die Schiffer schützt; dort, schwer von Warenlasten,
Barken von Tyrus und vom Nil.

Am Ufer buntes Volksgedräng und Lärmen.
Von Marmor leuchtend und von Erz,
Türmt mit Theater, Halle, Hippodrom,
Vom Menschenstrom
Durchwogt, voll Tempeln, Statuen und Hermen
Vor mir die Stadt sich himmelwärts.

Doch horch! es rollt der Anker; ich erwache –
Wohin, wohin mein Traum verweht?
Armsel'ge Hütten stehn vor mir von Lehm,
Wo ehedem
Rhodos geprangt hat; vom Moscheendache
Ruft der Muezzin zum Gebet.

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