An Frau Marianne von Willemer 1827

1.

Du nötigst mich, ich soll nur schreiben;
Was weiß ich denn, das nicht ein jeder weiß,
Nicht jeder sucht von Stirn und Blatt zu reiben?
Denn alles, was wir wissen macht uns heiß.
Selbst dieser Pappeln kühle Säulenhallen
Auf goldnem Abendgrund des Domes Blau,
Der Spiegelwellen leises Pilgerwallen,
Der glühnde Berg erlöschend in dem Tau,
Selbst die zerstreuten Lichter in den grünen Räumen,
Und auf dem lieben Antlitz dort der Strahl,
Als zögre er, als dürfte er versäumen
Hinabzusinken mit dem Licht zum Tal.
Selbst alle Wahrheit, Wirklichkeit und Wonne,
All das Genügen dieser guten Schar,
Befreundet nach dem Untergang der Sonne
Zurückzurufen, was am Tag gemeinsam war. –
Ach! all dies äußre, innre, sel'ge Kühlen
Dem Wissenden ist es ein heißer Brand.
Wer aber wird, mein Kind, dies mit mir fühlen,
Und fühlt es Einer, geht er weggewandt,
Geht nicht zu mir, zu dir, geht zu dem Einen,
Der einsam steht, verlassen und verflucht,
Von seinem Volk, in grimmen Todespeinen,
Ans Kreuz genagelt, blutend, unbesucht.
Er kann nicht Kühlung suchen, kann nicht fliehen,
An Händ' und Füß' in heißer Nägel Zwang
Fühlt sengend er die Sonne um sich ziehen,
Für ihn ohn' Untergehn in glühndem Gang.
Er, der die Schmerzen aller Schuld gelitten,
Er, der Unschuldige, der rein allein
Für uns am Kreuz steht in der Dinge Mitten,
In ihm nur ist ein gut Zusammensein.
All andres Tun, all Lieben, Sehnen, Freuen,
All dieses bange Ringen nach Verein
Ist andres nicht, als Trennen und Zerstreuen.
Vergebens hier der Tisch und Brot und Wein,
Wir sitzen rings um ihn, daß er uns trenne,
Man ißt und trinkt; der zahnbewehrte Mund
Zerreißt, zermalmt, daß nicht die Zunge nenne
Die Eigenlust verschlingend durch den Schlund.
Horch! Gläser klingen! Man möcht' sich durchdringen,
Möcht' Eins nur sein, da man Gesundheit trinkt.
O kranke Lieb', der mit zerbrochnen Schwingen
Ein Zeugnis der verlornen Einheit winkt.
Wo fehlt's uns denn? Warum wird mir so bange,
Bei diesem Bruchstück vom zerbrochnen Bund?
Getrennt sind wir, es ist so ewig lange,
Im Tode wird die Liebe erst gesund.
Da hast du's nun, – was quälst du mich zu schreiben,
Verstehst du dies? Wer's liest verlachet mich,
Und wer es merkt, wird mich von dannen treiben,
So lebe wohl, dein Engel schütze dich!

2.

Denn sieh! die Nacht! ihr Friedensmantel decket
Den Streit des Scheins, ein täuschend Tafellicht
Eint, oberflächlich schwankend, und von Nacht umschrecket
Neckt sich erkühlend, was am Tag sich widerspricht.
Mir heilt kein Schmaus die schuldzerrißnen Herzen,
Und nimmer wird die Narbe mir ein Gleis, –
Doch lockt mein Mantel euch so bunt von Schmerzen,
Nehmt hin und scherzt, ich geb' die Fahne preis.
Sie wird von euch weltkindisch umgeschwungen
Von Tränen bleich, von welken Blumen bunt
Sind seine Löcher Wunden, seine Fetzen Zungen,
Ihr lacht sie an und macht sie nicht gesund.
So laßt mich denn und nötigt nicht zum Singen,
Ich muß mit Jakob weinen um den bunten Rock
Des Joseph, den die Söhne vor ihn bringen,
Getauft mit Blut von einem jungen Bock.
Ich wein' und weiß es doch, er lebt, sie werden
Ihn finden königlich, Korn reichend in der Not;
So ist die arme Trauer dieser Erden,
Sie weint beim blut'gen Rock, er lebt, bereitet Brot;
Fahr Mantel hin! Ich eile mit Erschrecken
Dem Jüngling nach – Putiphare erfaßt
Die Hülle, die ihr fehlt, die Schmach zu decken;
O, ird'sche Freude, du betrogner Gast!
Wer dir anheimfällt wird ein Ehebrecher,
Wer dir entflieht, den klagt der Mantel an,
Doch sei getrost, es ward der goldne Becher
Dem Benjamin in seinen Sack getan.
Fahr Mantel hin! Doch da zum Strom ich eile
Und möcht' mit dem Propheten jenseits sein,
Da fehlt er mir, daß ich den Jordan teile, –
Der Glaube kann nicht ohne Mantel sein.
So bin auch ich entblößt und ohne Waffen
Muß ich am Ufer nach der Brücke ziehn,
Muß mit den andern diesseits, jenseits gaffen
Und sink' ermüdet unterm Kreuze hin.
Da steht der Jüngling auch, der in dem Garten,
Da man den Heiland fing, den Mantel ließ.
Ich will mit ihm der Auferstehung warten,
Die uns der Mensch gewordene Gott verhieß.
Laß ausgesetzt mich in der Sonne Gluten
Bei meinem dürstenden, durchbohrten Heiland stehn.
O Gütigster! mich kühlt dein heißes Bluten,
Dein brechend Auge hat mich angesehn.
Und du, Maria, Mutter voll von Schmerzen,
Breit' deinen Schutz um mich und diese Welt,
Die sieben Schwerter, stehend dir im Herzen,
Sie spannen deinen Mantel aus zum Zelt.
So laß mich knien, flehen, weinen, büßen
In deinem Bann, der selig werden soll,
Bis dich die Engelgrüße wieder grüßen:
»Ave Maria, Mutter, Kirche, Gnadenvoll,
Mit dir der Herr, Gebenedeite unter den Weibern,
Gebenedeit allein ist deines Leibes Frucht,
Jesus, der Herr, der unter allen Leibern
Die Kirche, als den Brautleib hat gesucht.
Die Kirche, meine Mutter, durch den heil'gen Geist,
Die in der Taufe schuldlos mich geboren,
Die in der Firmung Stärke mir verheißt;
Die in der Buße herstellt, was verloren,
Die meinen Gott und Herrn mir nährend reicht,
Mir den lebend'gen Gott bewahrt im Sakrament,
Im neuen Opfer, das nicht von ihr weicht,
Das bei ihr bleibt bis an der Zeiten End',
Die mich mit heil'gem Öl zum Todkampf weiht,
Und mit der Priesterweihe Menschen rüstet,
Zu tun wie Jesus Ew'ges in der Zeit,
Die heilig bindet, was im Fleisch gelüstet,
Zu einem Fleische zwei; ein großes Sakrament
In Christo und der Kirch', dem Haupt, dem Leibe,
O Kirche! meine Mutter bis zum End'.
Fleht heil'ge Brüder, daß ich in ihr bleibe,
Mit ihr zur Wüste zieh' im sichern Schoß,
Daß ich geborgen sei am Mutterherzen;
Und bricht zuletzt der Drache gen sie los,
Daß sie mich neu gebäre unter Schmerzen.
Maria, Mutter Gottes, Wahrheit, Bild und Schild,
Maria, Jungfrau, Wirklichkeit und Namen,
Bitt' für uns Sünder, deine Kinder, sei uns mild
Jetzt und in aller Todesstunde! Amen.«

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