Ein armer Tor lebt ausgeschlossen

Ein armer Tor lebt ausgeschlossen
Draus vor der Stadt bei einem Baum.
Er dient den Reisenden zum Possen,
Nickt für die trockne Rinde kaum.

Doch von der Sonne Steigen, Neigen,
Bis zu der Sonne Niedergang
Schwingt er sich an den Palmenzweigen
Mit ewig heiligem Gesang. –

Er singet nur die beiden Worte
Ave Maria fort und fort,
Aus seines Mundes frommer Pforte,
Kam niemals noch ein andres Wort.

Und als er endlich ausgeschwungen,
Am Abend bei dem Palmbaum lag,
Hat er schon sterbend noch gesungen
Ave Maria bis zum Tag.

Es nahten sich des Weges Boten,
Erstaunt, weil sich der Tor nicht schwang,
Und scharrten bald den armen Toten
Am Baume ein ohn' Sang und Klang.

Ein Schwätzer, der ihn oft verlachte
Reist eine Zeit nachher vorbei,
Und naht dem Baume stolz und dachte,
Was half sein Schwingen und Geschrei.

Da spielt ein Wehen in den Zweigen
Auf jedem Blatt der Schwätzer sieht
Ave Maria steigen, neigen
Mit goldner Schrift des Toren Lied.

Es fasset ihn das Liebeswunder,
Er kündet es der ganzen Welt,
Und macht zum Gruß viel Herzen munter,
Und hat viel Schwätzen eingestellt.

Nach unsers Heilands wahren Worten
Selig die Armen in dem Geist
Der arme Tor, der selig worden
Der selige Solinus heißt. –

Nach der Erlösung seufzt und ringet
Mit uns sich alle Kreatur –
Nur wer treu wie Solinus singet,
Der löst die Fesseln der Natur.

O Seligkeit der beiden Worte
Ave Maria fort und fort,
Erlösend tönst du im Akkorde
Gott, Mensch, im fleischgewordnen Wort.

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