Der Freithof

Einsam wandl' ich mit dem Bruder
Unter Gräbern.
Bild an Bild, und Vers an Vers gedrängt.
Rosen glühn, und Lilien glänzen,
Frischer grüner Rasen,
Die Gluth des Lebens mit allen Farben
Als Teppich des Todes. –
Solche Haushaltung führt nur die Liebe.
Nein, hier sind die Verschiednen nicht entflohn,
Aus Knosp' und Blum und Thau des Grafes
Quillt Lächeln und Thräne noch immer hervor.
Dort knien auch Kinder
Und heften betend Blumengewinde
Um die eisernen Kreuze der Eltern.
Der Gatte entfernter
Die Eltern hier in der Nähe,
Bringen, wie immer die Liebe that,
Thränen, Gebet und des Sommers bunter Schmuck.
Welche Wehmuth zittert durch mein Wesen?
Auch hier in weiter Ferne
Kann ich um alle die Theuern klagen,
Die ich früh und spät verlor.
Mein Schmerz vermischt sich mit den Weinenden,
In den Thränen mehr als in der Lust
Sind wir alle Brüder.

Aber hier in der Halle,
Im fernen, unbesuchten Winkel
Find ich ein Blatt, von alter Hand beschrieben,
So deutet die zitternde, ungewisse Schrift:
»Jeder Christ, der hier mag wandeln,
Bete freundlich für ein Wesen,
Das im unnennbaren Jammer,
Das im tiefsten Schmerz vergeht,
Zu dem Vater, der die Liebe,
Daß er tröste, wenn nicht helfe.« –

Da brachen unaufhaltsam meine Thränen,
Und sie beteten mit Inbrunst.

Kommt ein Herr dahergegangen,
Sieht das Blatt, die Kreutz' und Blumen,
Und die Kinder, Eltern, Gatten,
Hält wohl meinen Schmerz für Ingrimm,
Spricht mit Afterweisheit;
Ja, es wäre nun wohl an der Zeit,
Alle diese Thorheit abzuthun,
Diese Blumennarrheit, diesen Aberglauben,
Dies Wallfahrten, Beten auf den Gräbern,
Sollte die Regierung hemmen. –

Schmerzte mich der Arme fast noch mehr
Als die Schreiberin des alten Blattes:
Also hier auch, unter diesen Gottesbergen,
Wo Natur so heilge Worte rauscht,
Giebt's derlei vernünftig Wesen,
Das, so wähnt' ich, nur daheim bei mir,
Auf im Sande schießt und unter Kiefern.

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