Bilanz

So geh ich nun, Cylinder in der Stirn,
Den Schnurrbart aufgestrichen, wie sichs ziemt,
Und setz mein spanisch Rohr altväterisch,
Bedächtig, schrittbemessen vor mich bin.

Alt wohl noch nicht, doch auch nicht mehr ganz jung,
Ist man denn in der Mitte angelangt,
Beim à peu près, und hat Gelegenheit,
Vorwärts und rückwärts still sich umzusehn.

Kopfnicken. Stirnefalten. Hem und hum ...
Tja: Manches hat sich nicht so eingestellt,
Wies einst der ßolze Gymnasiast geträumt,
Und dies und das ging unerquicklich aus,
Das sich erst wunderschön zu machen schien.

Zieh die Bilanz, Mann im Cylinderhut!
Schlag Blatt für Blatt mit Rechnermiene um!
Sieh nach, Freund Ich, was dir noch übrig bleibt!

Wer stößt mich da? Um Gott!: die Adelheid!
Nanu, Madam, wo kommst denn du jetzt her?
Tanzst du denn nicht bei den Ambassadeurs?
– »Ich tanze nicht.« Sie sagts mit Düsterheit.
– Um Gotteswillen, Kind, was ist geschehn?
– »Ich bin ...«, sie streift den Handschuh sich zurück
Und zeigt mir, herkle! einen Ehering.

Da muß ich lachen, daß mein Seidenhut
Dem Dampfschiffschlote gleich schwankt, der im Sturm
Mit häuserhohen Wellen trotzig kämpft
– Du bist ... die Welt geht unter ... du ... oh Schreck!
Dagegen ich! Sie her! – Und frei und nackt
Zeigt meine Hand sich ohne goldnen Reif.

Nun geht ein Fragen nieder auf mein Haupt,
Daß neben ihm ein Donnerwolkenbruch
Ein Mückenniesen ist. Ich halte still
Und sage nichts und werde völlig stumm,
Bin lang schon nicht mehr da – wo bin ich nur? –
Und schließlich drück ich mich von Adelheid.

Wo war ich doch ...? Ja so, ja: die Bilanz.
Nun gut, was bleibt? Bin ich vielleicht bankrott?
Bin ich solvent, wenn mich das Schicksal mahnt
Und zu mir spricht, der grimme Gläubiger:
Her mit dem Darlehn, mit den Zinsen her!
Ist denn nicht alles, alles längst verthan?
Kam irgend nur ein kleiner Posten ein?

Mir scheint, mir scheint, Freund Ich, das Ding steht schlimm.
Bedeppt, beklommen, ein ertappter Dieb,
Steh ich gesenkten Hauptes, schuldbewußt,
Und sage meinem lieben Herzen: Ach,
Du dummes Herz, wie falsch hast dus gemacht!
Du schwaches Herz, nichts hast du ausgeführt!
Du böses Herz, was sündigtest du so,
Daß niemals Ruhe mehr dein Teil kann sein!
Was für ein Bursche war ich, keck und kühn,
Ein unbesonnener Lacher und ein Held,
Ein Greifer, Jager, ja ein Flieger fast,
Und trotzig, golden trotzig, – selbst dem Glück.
Hab ich nicht einst, mit diesem Herzen da,
Mit dir du Ding, das mich so angeführt,
Die ganze Welt umfaßt; war ich nicht einst
So voll von Liebe, daß ich manchmal rief:
Helft! Banden her! denn mich zersprengt das Glück! ...?
Und jetzt!? Da steh ich schwarzer Marabu,
Lack an den Schuhn, den Schädel überröhrt,
Den Schnurrbart hoch, Erfahrungsfalten tief,
Hier, in der Menschenmenge, steh ich da
Und bin so einsam, daß im Wüstensand
Niemals ein Büßender so einsam war.
Wo blieb mein Lachen, wo die Zuversicht
In meinen Stern, wo blieb mein Tänzerschritt
Und dieses Schwellen für die ganze Welt,
Die Liebe wo, die große, flammende,
Die mich emportrug und, die Schenkerin,
Mich rings mit Gnaden wie mit einem Wall
Umfriedete, – ach Herz, Herz, sprich, wo blieb
Mein Leben, meine Kraft, mein junges Glück?
Wo ... wo ...! Und meine Blicke irren so,
Als sucht ich in der Menge, was verflog.

Da: Stern und Sonne, Segen, Licht und Glanz!
Ein Strom von Klarheit und Beruhigung:
Im Wagen sie, die blonde Königin,
Die goldne Herrin und Gebieterin,
Die Adelige, Reine, Einzige.
Wenn sie die Hand hebt, bebt mein Herz vor Glück,
Wenn sie das Haupt neigt, faßt mich Seligkeit,
Ich seh sie gehn, und meine Seele singt,
Und alle meine Tiefen klingen mit,
Sagt sie ein einzig hingeschenktes Wort.

Ein Augenblick nur, und sie ist vorbei,
Ein kleiner Augenblick nur, und ich weiß:
Ich habe alles, alles noch in mir,
Es ist nicht not, daß ich verzweifeln muß,
Reich bin ich, unermeßlich reich und stark.

In die Arena! Leben, wehre dich!
Ich habe Schwerter und den hellen Mut,
Den heißen Mut, der in Gefahren lacht.

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