Eine Erinnerung

Frühling wars; ich war auf einem Kirchhof.
Saß auf einem Grab ein blondes Mädchen,
Hatte blaue träumerische Augen;
Einen Fliederzweig hielt sie in Händen,
Ihre Augen gingen in den Himmel,
Und es leuchteten die blauen Augen.

Irgendwo einmal schon sah ich diese
Wunderschönen träumerischen Augen,
Und ich sinne: wo?
Da hör ichs klingen
Wie Klavier in einem Tingeltangel.
Und ich sehe auf dem Gauklerbrette,
Seh im kurzen Kleid ein Mädchen tanzen,
Und sie singt dazu mit dünnem Stimmchen
Schrill ein Lied: Nur einmal blüht im Jahr der
Mai.

War so blond, blauäugig jene Tänzerin
Wie das Mädchen mit dem Fliederzweige
Aber ihre Wangen trugen Schminke,
Und es lagen wie geduckte Schlangen
Schwarze Ringe um die blauen Augen.

Jenes Mädchen starb in meinen Armen,
Krank und elend, aller Lüste müde,
Ihre Lippen preßten sich im Schmerze,
Die so heiß geküßt und süß gelächelt.

Aber als sie starb, da gingen ihre
Blauen Augen leuchtend in den Himmel,
Und ich dankte tief in meinem Herzen
Ihrem Heiland Tod, daß er sie löste.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sieh, das Mädchen mit dem Fliederzweige
Ist gegangen.
Dank für die Erinnerung,
Die mir deiner blauen Augen Leuchten
Gütig schenkte!
Durch die Trauerweide
Geht ein Wehn: Nur einmal blüht im Jahr der
Mai.

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