Evadne

Evadne trauert im öden Haus,
Seit Kampflust ihren Verlobten hinaus
Ins Feld vor Theben getrieben;
Da naht ihr ein Bote: »O Herrin, vernimm,
Und zürne mir nicht, wenn die Botschaft schlimm!
Der Götter Grimm
Ruht schwer auf dem Heere der Sieben!

Herab von den Thoren von Teben flog
Geschoß auf Geschoß auf das Kriegergewog;
Rings türmten sich Haufen Toter;
Da klomm dein Kapaneus, allen zuvor,
Inmitten des Kampfs am Elektrathor
Zur Mauer empor,
Nicht achtend die Wut der Böoter.

Und hoch auf der Zinne, von Speeren umsaust,
Rief er und ballte nach oben die Faust:
›All deine Gewölke türme,
Ja all deine Flammen herniedergeuß,
Doch wirst du nicht hindern den Kapaneus,
Ohnmächtiger Zeus,
Daß er dies Theben erstürme!‹

Er rief es, und schon aus den Wolken scholl,
Den Himmel durchhallend, Donnergeroll;
Herab auf das Haupt des Stolzen
Fuhr lohend Kronions Wetterstrahl;
Er taumelte rückwärts leichenfahl,
Sein Panzerstahl,
Sein Helm und sein Schild zerschmolzen.«

Evadne vernimmt's: sie verhaucht kein Ach;
Stumm liegt sie am Boden im Trauergemach,
Umringt von den sorgenden Frauen.
Von Theben nahte der Trauerzug,
Der den blitzerschlagenen Helden trug;
Sie aber schlug
Das Auge nicht auf, ihn zu schauen.

Die Ihren flüstern: »Weil sie nicht klagt,
Weil stumm ihr der Jammer am Herzen nagt,
Verkündet Böses ihr Brüten.
Damit sie nicht rasche That verübt
Und dem zu folgen, den sie geliebt,
Den Tod sich giebt,
Laßt uns sie achtsam behüten!«

Im Hof wird Kapaneus aufgebahrt;
Doch sie, als hätte sie nichts gewahrt,
Liegt selbst für tot im Gemache.
Da plötzlich am Morgen erwacht sie und spricht:
»O Mutter, mein Haupt mit dem Kranz umflicht!
Mir ward ein Gesicht,
Aus dem ich in Freuden erwache.

Vernimm! In der Rechten den Thyrsusstab,
Stieg Bacchus in meinen Traum herab,
Von himmlischem Glanz umflossen;
Sein dunkles Antlitz leuchtete hold;
Der rebenbekränzten Locken Gold
War niedergerollt
Um den schwellenden Nacken ergossen.«

»Schon,« sprach er, »reift in den Trauben der Saft;
Was zögerst du? Auf! Dich emporgerafft!
Denn dich zur Dienerin will ich!
Die Stirn umschling mit dem Epheukranz,
Führ an die Mänaden bei Fackelglanz
Zum bacchischen Tanz,
Und alle Leiden dir still' ich!«

So kündet Evadne des Gottes Geheiß
Und eilt von dannen; der Weiber Kreis
In freudigem Staunen umringt sie;
Die Stirn bekränzt sie mit Epheu schnell;
In der Rechten flammt ihr die Fackel hell,
Und der Hindin Fell
Um die blendenden Schultern schlingt sie.

»Evadne!« rufen die Ihren, »Kind!
Was bist du so bleich?« – Sie aber beginnt
Die eherne Zimbel zu schlagen,
Und »Evoë,« ruft sie, »Evoë!
Heil göttlicher Sohn der Semele,
Der du stillst das Weh
Und in Jubel wandelst die Klagen!«

Bald faßt der Taumel die ganze Schar;
Sie geben dem Winde das flatternde Haar,
Durchflochten mit Rebenzweigen;
Den Thyrsus schwingend, durch Schluchten und Wald
Hinbrausen sie jauchzend; die Pauke schallt,
Und ringsum hallt
Die Flur von dem wirbelnden Reigen.

»Heil Bacchus! Den trauernden Sterblichen gab
Er den Saft der Traube, das duftende Grab,
Darin sie den Kummer versenken;
Er sprengt beim kränzeprangenden Mahl
Den Schlummer auf sie aus goldnem Pokal,
Damit sie der Qual
Des Tages nicht länger gedenken!«

So schallt der Chor; schon dunkelt die Nacht;
Der Schein der Fackeln wird heller entfacht;
Doch wo ist Evadne geblieben? –
Lang ist sie verstummt bei dem Jubelgesang;
Sie floh hinweg von dem Zimbelklang,
Die Schluchten entlang
Vom Jammer des Herzens getrieben.

In den Hofraum schleicht sie verstohlen ein;
Nun hindert sie keiner, nun ist sie allein
Beim Werk, das sie sinnet und dichtet;
Sie schmückt den Toten mit weißem Gewand,
Bekränzt und salbt ihn mit eigener Hand,
Und bald zum Brand
Den Holzstoß hat sie geschichtet.

»Ihr wolltet mich hüten – nun bin ich frei!
Zu scheiden, die sich geliebt, die zwei,
Wähnt nicht, es werd' euch gelingen!
Du, dessen Blitz mir den Teuern geraubt,
Ohnmächtiger Donnerer, hast du geglaubt,
Ich würde das Haupt
Dir beugen und Opfer dir bringen?

Such andere, Zeus, die vor dir knien!
Nicht weiß ich von dir; ich kenne nur ihn,
Den du mir tückisch erschlagen.
Schon hält die bräutliche Kammer der Tod
Uns beiden bereit; in der Flamme, die rot
Gen Himmel loht,
Wird der Hochzeitsmorgen uns tagen.«

Sie zündet den Scheiterhaufen und preßt
Den Mund auf die Stirn des Geliebten fest;
Auf steigen mählich die Flammen;
Fernher ertönt aus Schlucht und aus Hain
Der Mänaden Gesang gleich bräutlichem Reihn,
Und über den zwein
Schlägt lodernd die Glut zusammen.

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