Legende von der heiligen Marina

Zueignung

An den Historienmaler Eduard Steinle aus Wien

Wie Sankt Marinas heilige Legende
So klar und rein, so ernst jungfräulich schön
Gebildet deiner Kunst unschuld'ge Hände,
Sah manches Aug' gerührt ich eingestehn.

Und als auch mir dein Werk das Herz bezwungen,
Das stumm und hart nur selten Kunst gerührt,
Hab' ich Marinas Lob für dich gesungen,
Der Heil'gen selbst ein höhres Lied gebührt:

Ein neues Lied, das unter Harfenchören
Dem Lamme Gottes, das auf Sion steht,
Die Jungfraun singen und allein nur hören,
Die rein dem Lamm gefolgt, wohin es geht.

Nimm du fürlieb; was Liebe mußte dichten,
Dies Lied von deiner zücht'gen Kunst bewegt,
Sei schüchtern dir – die Liebe kann nicht richten,
Nur dulden, schonen, – an das Herz gelegt.

Doch Ernsteres tut not, – Horch! – Weheklagen!
Die Donau, die das Wiegenlied dir sang,
Droht wild des Eises Fesseln zu zerschlagen;
Ihr Kind, die Not, wehklagt dem Strand entlang.

Wir geben ihr das Lied ums Brot zu singen;
Vergelt's Gott! – Horch, zu beten lehrt die Not.
Und wird das Mitleid ihr dein Bild auch bringen,
Geht Bild und Lied vereint wie Kunst nach Brot.

O in der Liebe, welch ein heilend Fügen!
Der glühe Orient gibt dir ein Bild,
Das haucht der Not aus warmen Atemzügen
Ein Schlummerlied ins Donaueisgefild.

Marina! hilf der Donau singen, wiegen,
Sieht sie die Not, ihr ausgesetztes Kind,
Im Schlummer lächelnd dir am Herzen liegen,
Dann bricht das Eis und taut dem Armen lind.

Legende von der heiligen Marina

»Eugenius«, sprach der Abt, »warum so trauern?
Es scheint, als sei dein Herz noch in der Welt,
Und ich in diesen heil'gen Klostermauern
Zum Hüter nur für deinen Leib bestellt?«

Da seufzt der Mönch: »Zu Haus bei den Verwandten
Ließ ich ein Kind; hat gleich des Weibes Tod
Mich frei gemacht von vielen ird'schen Banden,
Sorg' um des Kindes Heil ich doch mit Not.«

Der Abt sprach: »Folge Sohn dem treuen Hirten,
Führ' her dein Schäflein in den sichern Stall,
Die Lämmer, die aus unsrer Hut verirrten,
Von uns einst fordert sie der Richter all.«

Heim eilt der Vater, löst die goldnen Locken
Von seines Mägdleins Haupt; mönchisch verhüllt
Den zarten Leib er, und des Klosters Glocken
Begrüßen fromm getäuscht des Jünglings Bild.

Und gleich der Primel, die gebeugt zur Erde
Den Tau des Himmels trinkt am Felsenrand,
Empfängt nun kniend mit kindlicher Geberde
Marina Segen von des Abtes Hand.

Marina, die nun jenseits heil'ger Schwelle
Marinus heißt, vom Vater treu belehrt,
Wird bald zum Meister in der stillen Zelle
In Schrift und Lesung und was Mönche ehrt.

Wie süß sang sie, das Jesukind zu grüßen:
»Lobsingt, uns ist geschenkt ein Kindelein,
Mein armes Herz liegt dienend ihm zu Füßen
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein!«

Wie sinnreich schmücket sie zur Kirchenfeier,
Die Krippe kinderfroh, wie ernst das Grab,
Wie freudigbunt malt sie die Ostereier,
Und windet Blumen um des Abtes Stab.

Zur Wallfahrt zog zu ihr der Herbst, der Winter;
Der Lenz, der Sommer brachten Jahr für Jahr,
All ihre Schätze, schmückten wie die Kinder
Fromm mit Marina Kirche und Altar.

Doch als sie selbst in reicher Jugendblüte,
Verhüllet zwar, doch voll von Duft und Glanz;
Mehr Schutz bedurfte, als daß man sie hüte,
Flocht ihrem Vater sie den letzten Kranz.

Und schwur dem Sterbenden in seine Hände
Den Schwur, den seine ernste Lippe sprach:
»Ich schwöre, mein Geheimnis bis zum Ende
Treu zu bewahren ohne alle Schmach.

Daß nicht die Schlange zum Verrat mich führe
Gleich unsrer Mutter einst im Paradies,
Die, weil sie öffnete dem Tod die Türe,
Der Engel vor des Gartens Pforte stieß.

Ja mein Geheimnis, meinen Kranz, ich schwöre,
Ihn bring' ich unverletzt dem Bräutigam,
Daß rein mein Lied man in den Chören höre
Der Jungfräulein, lobsingend vor dem Lamm.«

Der Vater segnet sie, sein Geist entfliehet,
Den Leib legt man zur Auferstehung hin,
Und bei des Hügels Trauerblumen knieet
Marina wie ein ernster Rosmarin.

Fortan die Brüder ehrten den Gesellen
Als eines edlen Baumes gute Frucht;
Auswärtige Geschäfte zu bestellen,
Wählt gern der Abt ihn wegen seiner Zucht.

»Marinus! nimm die Geißel, leit' die Rinder
Am Wagen zu dem nahen Meeresport
Und führ' Getreid uns ein für diesen Winter,
Kehr' beim vertrauten Wirte ein am Ort.

Weil kühn und frei die Tochter dort im Hause,
Hab acht! mein Sohn, bleib treu des Vaters Zucht,
Verbotne Frucht, umblüht von duft'gem Strauße,
Versuchet leicht, wird leichter noch versucht.«

Marina fährt, kehrt mit den Säcken wieder,
Und wiederholt die Fahrt vielfach zum Port,
Gern sitzt sie bei des Wirtes Tochter nieder,
Die höret gern des feinen Mönches Wort.

Marina liebte mehr, zu ihr zu reden,
Als zu den Männern, und mit Engels Huld
Lehrt sie das kühne Mägdlein singen, beten,
»Herr! wie den Schuldnern wir, vergib uns Schuld.«

Doch eh' sie bat: »Nicht in Versuchung führe
O Herr uns,« führt ein Kriegesmann zum Tanz
Die Schülerin, und vor des Wirtes Türe
Hängt bald ein Strohkranz bei des Weines Kranz.

Die Dirnen streuten Häckerling, es wütet
Der Vater: »mache mir den Mann bekannt.«
Die Tochter lügt: »wie schlecht war ich gehütet!
Mich hat der Mönch Marinus übermannt.«

Dann folgt die Elende mit ihrer Bürde
Dem Vater zu dem Abte hin und schwor,
Daß sie den Kranz, das Kloster seine Würde,
Durch des Marinus Büberei verlor.

Da wird die Schuld der Unschuld laut verkündigt;
Marina denkt an ihrer Jugend Schwur,
Und spricht: »O Abt! wie schwer ich hab' gesündigt,
So schwer verhänge mir die Buße nur.«

Der Abt nun sprach die strengen Richterworte:
»Ihr Brüder reiniget des Herren Haus
Und treibet vor des Paradieses Pforte
Den Sünder in die Wüste jetzt hinaus.

In Schmerzen soll das Weib sein Kind gebären
Und er das Elend bau'nd in Gottes Zorn
Im Schweiße seines Angesichts es nähren,
Sein Garten trage Disteln ihm und Dorn.«

Der Mönche Schar auf diese strengen Worte
Läßt an Marina ihren Grimm nun aus,
Mit Brot und Wasser treiben sie zur Pforte
Die Arme in die öde Nacht hinaus. –

– Doch ihr nicht öd; denn zu des Vaters Grabe
Eilt mit dem Krug und Brot das treue Kind;
Daß ihr Geheimnis sie bewahret habe,
Erzählt sie betend ihm in Nacht und Wind.

Streng tat Marina göttlichem Gebote
Und ihres Ordens Regel dort genug,
Sie teilte täglich mit der Not die Brode
Und mit den Durstigen den Wasserkrug.

Sie betete und sang die heil'gen Stunden,
Wie sie der sel'ge Vater einst gelehrt;
Die Matutin, da Jesus ward gebunden,
Sie täglich mit dem Morgenstern verehrt.

Die Prim, da er verhöhnt ward und verspieen,
Begrüßt ihr Dankgebet für eigne Schmach,
Zur Terz, da sie »ans Kreuz mit ihm« geschrieen,
Pries sie das Urteil, das der Abt ihr sprach.

Zur Sext, der Kreuz'gung grimmer Marterstunde,
Trug dankend Jesu sie ihr Kreuz auch nach;
Zur Non, da er empfing die Seitenwunde,
Pries sie das Schwert, das ihr das Herz durchstach.

Zur Vesper, da er ward vom Kreuz genommen,
Sank ihre Sonne in ein Tränenmeer;
Und zur Complet, da er ins Grab gekommen,
Rief sie ins Chor das ganze Sternenheer.

Und in ihm zählend Jesu Geißelwunden,
Trifft Dorn und Geißel sie mit hartem Schlag.
So zieht Marina büßend alle Stunden
Den Kreuzweg mit dem Jahr durch Nacht und Tag.

Doch als zum Port der Storch kam heimgeflogen,
Bracht' er ein Knäblein in des Wirtes Haus,
Drei Jahre hat's die Dirne großgezogen,
Und setzt es dann gleich einer Hagar aus.

Der bösen Dirne Mutter trägt den Knaben
Hin zu Marina, spricht zu ihr mit Hohn:
»Es füttern ihre Brut ja alle Raben,
So füttre schwarzer Mönch auch deinen Sohn.«

Marina dankt und singt, ihr Leid zu süßen:
»Gott Lob, uns ist geschenkt ein Kindelein,
Mein sündig Herz ruht dienend ihm zu Füßen,
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein.«

Sie wiegt den Knaben ein an ihrem Herzen,
Er schläft gewärmt von reiner Liebe Glut,
Genähret von dem Brode ihrer Schmerzen,
Getränkt von ihrer Tränen heil'ger Flut.

Zwei Jahre so mit diesem armen Kinde
Stand büßend noch Marina vor dem Tor,
Und weicht in Tränen ihm die harte Rinde,
Die man ihr täglich mit der Schuld wirft vor.

Und lehrt es treu mit süßen Mutterreden,
Wie einst der liebe Vater sie gelehrt,
Für seine Eltern und für Sünder beten;
Die Mönche hörten's, Gott hat es erhört.

Und als in des Adventes heil'gen Tagen
Die Sehnsucht allem Trost entgegen wallt,
Lehrt fromm Marina ihren Knaben fragen,
Ob wohl das Jesukindlein komme bald.

Und als er fragt, wo nur es schlafen solle,
Trägt wie ein Vöglein sie vom Dornbusch ein
Vorbei gestreifter Schäflein zarte Wolle,
Und baut dem Kind ein feines Krippelein.

Dann formet aus dem Wachs der wilden Bienen
Marina auch ein Kindlein weiß und fein
Und legt es, als die heil'ge Nacht erschienen,
Andächtig zwischen Ochs und Eselein.

Als jubelnd nun des Klosters Glocken klingen,
Und Weihenacht mit freud'ger Lichter Schein
Die Kirche füllt, fällt in der Mönche Singen
Marinas und des Knaben Stimme ein.

»Kommt lasset uns das Heil der Welt begrüßen,
Denn uns ist ja geschenkt das Kindelein,
Mein armes Herz ruht dienend ihm zu Füßen,
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein.

Den Schultern huldiget, die, unsre Schulden
Zu büßen, trugen schwere Kreuzeslast;
Kommt, huldiget der Unschuld, die voll Hulden,
Dem Kinde, das bei Sündern kömmt zu Gast.

Es nimmt fürlieb: bringt, was ihr habt, dem Kinde,
Bringt bittre Myrrhenbüschlein eurer Schuld,
Bringt eures bösen Herzens harte Rinde,
Bringt einen blühnden Dornkranz der Geduld.

O kommt mit mir und betet an ihr Sünder,
Für uns ja kömmt dies Kind, für uns allein.
Erbarmet euch gleich ihm der armen Kinder,
Erbarmt euch aller seiner Brüderlein!«

So hörten, die zur Weihnachtmette gingen,
Die Mönche einsam draus in Sturm und Wind
Marina mit dem armen Kinde singen,
Und sieh, es ward ihr Herz ganz mild und lind.

Sie dringen in den Abt mit ihren Bitten:
»Tu auf das Tor und laß Marinus ein,
Fünf Jahre hat geduldig er gelitten
In strenger Buße Hohn und Hungers Pein.

In Sonnenglut, im Sturmgeheul der Winde
Hat niemals noch Marinus wehgeklagt,
Hat mit dem Knaben seine harte Rinde,
Mit Tränen dankend, täglich fort genagt.

Die er erschütterte, die heil'gen Mauern
Der klösterlichen Zucht durch seine Schuld,
Hat er in uns erbaut zu langem Dauern
Durch seiner Buße sühnende Geduld.

Der selbst ohn' Obdach draußen in der Wüste
Ein festlich Dach erbaut dem Gotteskind,
Das aller Büßer Schuld am Kreuze büßte,
Verschmachte länger nicht in Sturm und Wind.«

Der Abt, gerührt in väterlicher Strenge,
Vernimmt erfreut der Brüder Mildigkeit,
Er lauschet auf des Büßers Christgesänge,
Sein Herz geht auf im Gnadentau der Zeit.

Er läßt von seinem Mund das Sprachrohr tönen:
»Gott in den Himmelshöhn sei Ehr und Preis,
Fried' und Versöhnung allen Menschensöhnen,
Die guten Willens, auf dem Erdenkreis.

Ihr Schäflein in der Wüste draus verloren,
Verbannt, verwiesen, kehret heim zum Stall,
Es ist das Lamm, der gute Hirt geboren,
Marinus hör' des Hirtenhornes Schall!«

Marina gleich auf diese Friedensworte
Die Krippe auf des Knaben Hände legt,
Und folgt lobsingend zu der Klosterpforte
Dem Kleinen, der das Jesuskindlein trägt.

Er setzt das Kripplein auf der Schwelle nieder,
Und knieet betend bei der Büßerin.
Der Abt steht schweigend dort im Kreis der Brüder,
Und blicket ernst dann auf Marina hin.

»Hier führte einst Eugen, dein Vater«, spricht er,
»Marinus den unschuld'gen Sohn herein,
Hier ward dein Vater ich, und dann dein Richter,
Das ist die Frucht von deiner Schuld allein.

Hier fordert auch Eugen einst deine Seele,
Die du verderbet hast, o Sohn, von mir;
Drum trieb' ich, nicht damit dein Herz ich quäle,
Nein, daß ich's reinige, dich weg von hier.

Tritt wieder mit dem Zeugen deiner Sünde
Und mit dem Weihnachtskindlein bei uns ein,
Doch, willst du folgen streng dem Jesuskinde,
Mußt du ein Knecht auch seiner Knechte sein.

Dies Haus durch deines Lasters Schmach erschüttert,
Bau' deiner Buße Beispiel wieder auf.
Das Ärgernis, zu dem du uns erbittert,
Versüße deiner Reue Tränenlauf.

Konnt' deine Schuld dies Haus so arg beflecken,
So halt' fortan es deine Buße rein,
Den Wust und Unrat feg' aus allen Ecken
Von heut an täglich deine Hand allein.

Besudelt und zerrissen hast du leider
Mit böser Lust dein geistliches Gewand,
Drum reinige fortan der Brüder Kleider
Und dieses Hauses Linnen deine Hand.

Dein Wandel hat mit schreienden Skandalen
Den Ruf des Klosterwandels arg beschmutzt,
Drum werden künftig alle die Sandalen
Des Klosters nur von dir geflickt, geputzt.

Und weil das Wasser Gott in Zornes Tagen
Und Gnadentagen reinigend bestellt,
Sollst du ins Haus auch alles Wasser tragen;
Denn deine Schuld ist gleich der Schuld der Welt.

Draus vor der Türe büßtest du als Laie,
Bis du dich frei gedient und ausgesühnt;
Im Hause werd' dein Büßen dir zur Weihe,
Bis deine Buße dir Verdienst erdient.«

Marina dankt und küßt des Abtes Füße
Und rings den Mönchen des Gewandes Saum;
Daß sie im engen Kloster schwerer büße,
Schien nun die Wüste draus ein schöner Traum.

Tief sehnt Marina sich und übt mit Treue
Ihr müheselig Amt von Tag zu Tag,
Ein rührend Gnadenbild zerknirschter Reue
Wankt sie umher, bis sie der Last erlag.

Da naht ihr Ziel, es brechen ihr die Glieder,
Und auf des teuern Vaters Hügelgrab
Zieht sie die Last des Wasserschlauches nieder,
Und leget sie des Lebens Bürde ab.

Und zu den Mönchen eilt und spricht der Knabe:
»Kommt, holt den Schlauch, ich weiß nicht, was geschehn,
Mein Vater saß bei seines Vaters Grabe
Und betete und schlummert jetzt ganz schön.«

Die Mönche nahn, Marina reicht die Hände
Aufblickend hin den Brüdern rings geschart,
»Vergebt,« fleht sie, »und zeugt, daß bis zum Ende
Dem Vater das Geheimnis ich bewahrt.«

Sie starb. – Der Abt von ihrem Tod berichtet,
Sprach: »Also große Sünde hat getan
Marinus, daß Gott selbst ihn hat gerichtet,
Seht, seine Buße nahm der Herr nicht an.

Darum kein Trunk aus seinem Schlauch euch labe,
Wascht aus dem Schlauch, dem er erlag, ihn rein,
Und senket weit von jedes Frommen Grabe
Des Sünders Leib fern in der Wüste ein.«

Bald ruht der heil'ge Leib draus in der Halle,
Sein Antlitz waschen sie mit banger Scheu,
Und nun den Hals – da eilten plötzlich alle,
Zum strengen Abte hin mit Wehgeschrei.

Er fraget ernst: »Welch Unheil ist geschehen?«
Sie aber schrien: »Komm, schau das Wunder an,
Zur Halle komm, Marinus anzusehen,
Die Unschuld sieh, der wir so weh getan!«

Es folgt der Abt von ihrer Angst erschrecket,
Ein Ecce Homo scheint des Büßers Leib,
Doch als den Mantel von der Brust er decket,
Spricht ihrer Unschuld Zeugin: »Sieh ein Weib.«

»Weh!« schreit der Abt, »mein Ruhm ist all verloren!
Deckt Hügel mich, und über mich euch beugt
Ihr Berge! Weh dem Leib! der mich geboren!
Den Brüsten weh! die mich als Kind gesäugt.

Konnt' solch Gericht am grünen Holz geschehen,
Ließ Gott es zu durch mich grausamen Mann,
Wie wird es mir, dem dürren Stamm, ergehen,
Den mit dem Feigenbaum trifft gleicher Bann.«

Da wirft er sich laut jammernd an die Erde,
Schlägt an die Steine hin sein greises Haupt,
Und klaget mit des tiefsten Leids Geberde:
»Marina, weh! uns hat dein Kranz entlaubt.«

Und mit den Fäusten sich die Brust zerschlagend,
Kniet rings um ihn der Brüder Trauerchor,
Und nie noch drang ob schwerer Schuld wehklagend,
Ein Miserere reuiger empor.

Der Knabe auch, der stets der Mönche Lieder
Und Stellung nachahmt, bracht' sein Krippelein,
Und kniet mit ihm sich zwischen ihnen nieder,
Und sang der Einfalt Lied vom Kindelein.

»Kommt, lasset uns das Heil der Welt begrüßen,
Geboren ist uns ja ein Kindelein,
Mein armes Herz ruht dienend ihm zu Füßen,
Denn alle Macht ruht auf den Schultern sein.

Den Schultern huldiget, die, unsre Schulden
Zu büßen, trugen schwere Kreuzeslast;
Kommt, huldiget der Unschuld, die voll Hulden
Ein heilig Kind bei Sündern kommt zu Gast.

Es nimmt fürlieb; o huldiget dem Kinde,
Bringt bittre Myrrhenbüschlein eurer Schuld,
Bringt eures bösen Herzens harte Rinde,
Bringt einen blühnden Dornkranz der Geduld!

O kommt mit mir und betet an ihr Sünder!
Für uns ja kam dies Kind, für uns allein,
Erbarmet euch gleich ihm der armen Kinder,
Erbarmet euch doch seiner Brüderlein!«

Mit diesem Lied kam Friede auf die Brüder
Und auf den Abt, die guten Willens sind;
Sie knieten um die heil'ge Leiche nieder,
Da ward ihr grimmer Schmerz ganz süß und lind.

Und flehend spricht der Abt: »zu deinen Füßen
Gelobe ich, du heil'ges Wüstenkind,
Dein schuldlos Büßen doppelt selbst zu büßen
In Wüstenglut und Durst und Sturm und Wind.

Doch jetzt beschwör' ich dich, an jenem Tage,
Des Zornes Tage, vor dem Angesicht
Des Gottes, der dich liebt, mich nicht verklage,
Denn, was ich dir getan, ich wußt' es nicht.

Beschwör' ich dich beim jungfräulichen Leibe,
Der Jesum trug und bei der sel'gen Brust,
Die ihn genährt, nicht in mein Schuldbuch schreibe,
Daß deine Unschuld dir nur war bewußt.

Bei geistlichem Gehorsam ich befehle«
Spricht dann der Abt, aufrichtend sich am Stab,
»Daß allen du vergebest, teure Seele,
Wie Jesus seinen Kreuzigern vergab.

Unwissenden nicht nur erfleh' vom Lamme
Dem treu du folgtest, seiner Gnade Huld;
Nein jener auch, daß Gott sie nicht verdamme,
Die lügend auf dich warf die eigne Schuld.«

Ein süßer Duft erfüllte gleich die Halle
Auf des Gehorsams heilig mächt'ges Wort;
»Sie hat vergeben!« flüsterten da alle,
»Von ihrer Milde duftet dieser Ort.«

Den heil'gen Leib zur Kirche nun zu bringen,
Befiehlt der Abt der frommen Brüder Schar.
»Herr Gott dich loben wir« die Träger singen,
»Dich Gott in deinen Heil'gen wunderbar.«

Und mit dem Jesukindlein vor dem Zuge
Zieht her der Knabe, der sein Liedlein singt;
Und über ihm in weiterstrecktem Fluge
Der Vögel Schar der Wüste Rauchfaß schwingt.

Sie streuen Weihrauch auf Marinas Glieder,
Und schmücken mit Gewürzen ihr Gewand;
Ein goldner Bienenschwarm summt zu ihr nieder
Und füllt mit Wachs und Honig ihre Hand.

Sehnsüchtig Palm und Palme sich durchschlingen
Zu Ehrenpforten auf des Zuges Pfad,
Und weiße Tauben wehn mit reinen Schwingen
Kühlung und Blüten, wo die Heil'ge naht.

Die Lämmer blöckend sich zum Zuge drängen,
Jed Blümchen streuet einen Tau-Juwel,
Es wölbt ein Baldachin sich von Gesängen,
Stumm huldigend am Weg kniet das Kamel.

Schon überschritt der Zug die heil'ge Schwelle,
Schon ruht Marinas Leib vor dem Altar,
Da bringt ein rasend Weib man zur Kapelle,
Mit Wutgeberde und zerrauftem Haar.

Des Knaben Mutter ist's, die frech vermessen
Des Kriegers Schandtat auf Marina log,
Vom Geist der Lüge raset sie besessen,
Seit rein der Büßrin Geist zum Himmel flog.

Sie sträubt sich bäumend in der Knechte Armen,
Die mit Gewalt sie nahn dem heil'gen Leib,
»Marina bitt' für sie!« ruft voll Erbarmen
Das ganze Volk und betet für das Weib.

Sie rast und tobt, bis um der Mutter Hände
Der Knabe Sankt Marinas Gürtel wand;
Da ging an ihr des Satans Macht zu Ende,
Da ward der Gnade Macht an ihr erkannt.

In Strömen weinend auf des Knaben Wangen
Fleht sie: »Unschuld'ger Zeuge meiner Schuld,
Hilf betend mir von Jesu Gnad' erlangen
Durch sein Verdienst in seiner Braut Geduld.«

Da spricht das Kind, wie es Marina lehrte,
Des Herrn Gebet fromm seiner Mutter vor,
Und schluchzend betet die von Reu' Verzehrte
Die Bitten nach, einstimmt der Mönche Chor.

Doch als sie sprach: »Herr in Versuchung führe
Uns nicht! o Herr vom Bösen uns erlös',«
Erbebt sie und aus ihres Mundes Türe
Fährt aus der Lügengeist mit Wutgetös'.

Da hörten alle, daß ein süßes Amen
Marina leis mit reiner Lippe sprach,
Und priesen hoch der Jungfrau heil'gen Namen,
Die so getreu dem Lamme folgte nach.

Und ihres Ruhmes gute Engel flogen
Zum Meer hinab, zum Libanon hinan,
Mit Kreuz und Fahne kamen hergezogen
Die Klöster rings; die Wüste ward zur Bahn.

Und wo bei ihres Vaters Hügelgrabe
Marina Wasser tragend niedersank,
Erquickt die Kranken aus dem Schlauch der Knabe,
Und mancher ward gesund, der glaubend trank.

Am Pilgerpfade aber, um zu büßen,
Am Hals den Strick, die Kerze in der Hand,
Geschornen Hauptes, bleich, mit nackten Füßen
Des Knaben Mutter in dem Bußhemd stand.

Sie sang das Klagelied von ihrer Schande.
Das Jubellied von Sankt Marinas Ehr';
Da hörten es die Pilger aller Lande
Und sangen's weiter über Land und Meer.

Conscientia

Und weil der Büßrin Namen man nicht wußte,
Ward Weib und Lied Conscientia genannt;
Und wer es sang und singen hört', der mußte
Ans eigne Herz auch legen seine Hand.

Auch dem Verführer sang es seine Schande,
Doch nie die Hand am Herzen es ihn fand;
Es sucht und fand das Lied ihn rings im Lande,
Hier handgemein und dorten Hand in Hand.

Er flieht des Liedes Kreis zu weiterm Kreise,
Doch so an ihn gebannt ist der Gesang,
Daß in der stummen Wüste diese Weise
Aus seinem eignen Munde endlich klang.

Verschmachtend trieb es ihn von Wüst' zu Wüste
Wie den gehetzten Hirsch des Jägers Hund,
Bis schmerzlicher als je das Lied ihn grüßte
Mit heiserm Klang aus seines Weibes Mund.

So heiser klang es, wie die Wüstenquelle;
Vom Durst gepeinigt dringt er durch den Strauch,
Da steht ein Jüngling an des Grabes Schwelle,
Da tränkt sein Sohn ihn aus Marinas Schlauch.

Und weil mit Labung Gnade er getrunken,
Hat weinend er ans Herz gelegt die Hand,
Ist betend vor dem Kreuz er hingesunken,
Am offnen Grab, worin Conscientia stand.

Der Jüngling eilte weiter in die Wüste,
Und führt den Abt, der dort schon manches Jahr,
Wie er Marina es gelobet, büßte,
Hin an das Kreuz zu seiner Eltern Paar.

Die beiden nun bekennen ihre Sünden,
Er spricht sie los, reicht ihnen Jesu Leib,
Um ihren Bund nun sühnend zu verbinden,
Und segnet dann des Grabes Bett dem Weib.

Von ihrem Mund zum letzten Mal erklungen
Ist nun Marinas Ehr' und ihre Schmach;
Ihr Mann in tiefer Reu' hat mitgesungen,
Wehklagend hallten rings die Felsen nach.

Da ließ der Abt sein Hirtenhorn ertönen,
Die Mönche nahn und küssen seinen Stab,
Umgeben von der Wüste frommen Söhnen
Senkt sich Marinas Schülerin ins Grab.

Aufblickend nochmals reichet sie die Hände
Dem Mann, dem Sohn, den Mönchen kniend am Rand
»Vergebt«, fleht sie, »und zeugt, daß bis zum Ende
Vor aller Welt ich meine Schuld bekannt.

Mein Sohn! wie deine Mutter fortan ehre
Den Vater, daß du lebst auf Erden lang.
Wie mich, so ihn Marinas Buße lehre,
Das laß ich dir – und ihm den Bußgesang.

Mein Gatte! o verwalte treu dies Erbe,
Marinas Unschuld, unsrer Schuld Gesang,
Auf unsern Gräbern nie das Bußlied sterbe,
Zu unsern Gräbern sei der Büßer Gang.

Und wer hier tief verwundet betend rastet,
Ergieße seiner stummen Wunden Schmerz,
Er sing' und klage hier, was ihn belastet,
Sein Mund bekenne laut sein krankes Herz.

Hier, wo die Unschuld schweigend hat getragen,
Hier, wo die Schuld bekennend ward gesund,
Werd' aller Lieb' es leicht, zu weheklagen,
Und lächle allem Leid ein Gnadenmund.«

Da lächelte ihr Mund dem Sohn, dem Manne,
Der Mönche Schar, die betend sie umgab,
Dann schied die Seele aus des Leibes Banne,
Der mit gekreuzten Händen ruht im Grab.

Und de profundis rings die Mönche singen;
Und Vögel, denen sie ihr Brot geteilt,
Sind, ihres Dankes Huldigung zu bringen,
Mit Blumen sie bedeckend hergeeilt.

Und Zedernreiser häufen sie zusammen
Und streuen edles Harz an Grabes Rand;
Es läßt der Sohn des Dankes Opfer flammen,
Und Weihrauchwolken ziehen weit durchs Land.

Dann sang der Sohn das Bußlied durch die Lüfte,
Der mit dem Lied vom Kindlein es durchschlang,
Bis seine Seele im Geleit der Düfte
Empor beim Gloria in Excelsis drang.

So mehrten sich von Zeit zu Zeit die Hügel,
Manch leidenmüdes Haupt ging hier zur Ruh';
Mit Blüten deckte hier das Waldgeflügel
Manch wundes Herz im Tode heilend zu.

Als längst von hohem Steindom übermauert
Der Leib Marinas in Venedig ruht,
Ward unterm Himmelsdom hier noch getrauert,
Trank Tränenflut hier noch der Wüste Glut.

Als Sang und Weihrauch lang schon dort das Wunder
Des unverwesten Bußleibs feiernd preist,
Glimmt' in der Wüste noch der Reue Zunder,
Schwebt' um das Grab hier noch der Buße Geist;

Klang noch das Bußlied hier von Mund zu Munde,
Gab noch von mancher Seele ausgesöhnt
Die Weihrauchwolke hier der Wüste Kunde:
»Dort wallt sie auf den Bräutigam gelehnt!«

German Poetry App

This poem and many more can also be found in the German Poetry App.