Sir Walter Raleigh’s letzte Nacht

Sir Walter Raleigh sitzt und sinnt im Tower,
Vergittert ist sein Fenster, Erz die Thür,
Als sie sich schloß, schloß sich für ihn das Leben,
Wenn sie sich öffnet, öffnet sie der Tod.
Ihm lacht kein Gnadenstrahl; Tyrannenhaß
Hat ihm auf Hochverrath das Wort gedeutet:
„Der Menschen Recht war vor dem Recht der Stuart’s,
Und Kön’ge sind von Gott, nicht – selber Gott.

Die Nacht ist da. Mitleidig durch die Scheiben
Blickt nur der Mond, und nur der Stunde Schlag,
(Trotzbietend dem Verbot des Kerkermeisters)
Ruft dem Gefangnen zu: noch lebt die Zeit!
Sir Walter aber, auf die weiße Hand
– Blau-adrig längst von Sorg’ und Last der Jahre –
Stützt er sein Haupt und hastig weiter spürend
Auf oft betretner Fährte des Gedankens,
Vergißt er, traumverloren, Zeit und Welt;
Er steigt in’s eigne Herz hinab und schreibt:

Willkommen mir, zu scheiden
Von Leben und von Welt,
Mag keinen Gast beneiden,
Den’s hier zurücke hält:
Arm sind des Lebens Feste
Rings abgestandner Wein, –
Das Höchste und das Beste,
Wie niedrig und wie klein!

Des Hofes Glanz und Schimmer
Blinkt nur wie faules Holz,
Die Kirche lebt vom Flimmer
Und wird vor Demuth stolz;
Des Reichen Opfer bringen
Des Muth’gen Märtyrthum,
Der Quell, daraus sie springen,
Heißt Sucht nach Ehr’ und Ruhm.

Des Klugen Witz verschwendet
Der Worte viel – um nichts;
Die Weisheit wird geblendet
Vom Glanz des eignen Lichts;
Selbst du, des Weltgewimmels
Gepriesenste, o Kunst,
Es zeugt dich statt des Himmels
Die Mode und die Gunst.

Der Glauben ist veraltet,
Die Lieb ist eitel Lust,
Ergebung kniet und faltet
Nur weil es heißt: „Du mußt!“
Die Treu ging längst verloren
In Schein und Lug und Trug,
Das Glück wird blind geboren; – –
Ich hab des Spiel’s genug.

Willkommen mir, zu scheiden
Von Leben und von Welt,
Mag keinen Gast beneiden,
Den’s hier zurücke hält;
Wem’s Leben viel gegeben,
Dem gab es Müh’ und Noth,
Der Tod nur ist das Leben
Und alles Leben – Tod.

Sir Walter schrieb’s; ein seltsam Testament,
Mehr eine Beichte als ein letzter Wille.
Da, – während noch der gleichgesinnte Spruch
„Die Welt ist eitel“ durch das Herz ihm klingt –
Erfaßt ihn jener Spottgeist, der es liebt
In Widerspruch uns mit uns selbst zu bringen,
Der neben unsre Demuth, unsren Glauben
Als immer fert’ges Fragezeichen tritt
Und wo voll Mitgefühls wir weinen wollen
Uns höhnisch zuruft: „Thor, so lache doch!“
Der Geist erfaßt ihn, – und Sir Walter’s Auge
Hinzwingend auf den Demantring am Finger,
Durchstreicht er ihm die Weisheit dieser Stunde
Und giebt des Lebens Thorheit ihm zurück.
Sein Aug’ wird hell, Sir Walter sieht nur eins:
Den Sonnen-Tag, der diesen Ring ihm brachte.

Zu Windsor war’s, inmitten Waldeslust,
Durch’s Eichenlaub floß goldne Mittagssonne
Und wo die Jagd all ihre Schätze häufte,
Wo hundertfach der Hirsch im Blute lag,
Im Aug’ des Reh’s die Todesthräne blinkte
Und wo der wilde Eber, nun so zahm,
Der Furchen keine mehr im Erdreich riß,
Da wuchs – als hätt’ sammt seinen Jagdgeselln
Sich Robin Hood in’s Riedgras hin gelagert, –
Auf grünem Plan ein Festmahl aus der Erde:
Mit duftgem Moose war der Tisch gedeckt,
Am Jagdspieß briet das Rundstück und der Ziemer,
Vom nahen Hügel sprudelte der Quell,
Daneben aber, selber schier ein Hügel,
Lag für die durstigsten der durst’gen Kehlen
Ein Stückfaß goldnen Weines, Vögel sangen,
Nichts fehlte, nur der königliche Gast.
Da scholl ein Horn, und sieh, in raschem Jagen,
Gestrüpp und dichtes Farrnkraut leicht durchbrechend,
Erschien auf hohem Roß die hohe Frau,
Und jetzt, voll Kraft sich aus dem Sattel schwingend,
Berührte schon ihr Schleppenkleid den Boden,
Da stutzte sie, – – des Waldgrunds Feuchte lag
Ein schwarzer Spiegel, schillernd ihr zu Füßen.
Sie stutzte; wohl! doch Augenblicke nur,
Denn pfeilgeschwind, herab zum Teppichdienste,
Flog Ritter Raleigh’s goldgestickter Mantel
Und lächelnd nieder trat Elisabeth.

Das war ein Tag! Noch die Erinnrung dran
Gießt Lebenslust durch des Gefangnen Adern;
Er will nicht sterben; schmeichlerische Träume
Rückspiegeln ihm die Großthat manchen Tags
Und seines Klägers Unrecht gegenüber
Anklammernd sich an seines Ruhmes Recht,
Springt er jetzt auf und ruft: „Versuch es, Stuart!
Schwer wiegt Dein Haß, doch schwerer mein Verdienst.
Irland stand auf, – mein Degen warf es nieder,
Cadix bot Trotz, – ich brach den Trotz im Sturm,
Und als des finstren Philipps Riesenflotte,
Wie Goliath prahlend vor Alt-England trat,
Da barg mein Schiff die auserwählte Schleuder –
Gott gab die Kraft, ich aber schwang den Stein.“
Sir Walter spricht’s; die Enge seines Kerkers
Mit raschem Schritt durchmessend, preßt er jetzt
– Als such’ er Kühlung für die heiße Stirn –
Sein fiebrig Haupt an seines Fensters Gitter,
Und jetzt, durch trübes Scheibenglas hindurch,
Nachblickend der zerriss’nen Wolken Zug,
Fährt plötzlich er zurück: in’s Glas gekritzelt
Steht „Essex“ und ein Sterbekreuz darunter.

Seltsames Spiel! dieselben Wände sind’s,
Drin einst – wie er, verklagt auf Tod und Leben –
Sein Nebenbuhler saß, zugleich sein Opfer,
Und siehe da! durch’s Herz ihm, das noch eben,
Gefälschter Schuld und Klage gegenüber,
Von Ruhmes-Recht geträumt, gehn jetzt die Schauer
Wahrhaft’ger unauslöschbar-tiefer Schuld.
Er zittert, und als scheu zum zweiten Male
Sein Aug’ er jetzt erhebt, da sind’s des Grafen
Schriftzüge nicht, nein, Züge des Gesichts,
Und eine Grabesstimme ruft ihm zu:
„Irland stand auf, – gleich Dir, ich warf es nieder,
Cadix bot Trotz, – ich nahm’s im Sturm, wie Du;
All meine Schuld, nicht größer als die Deine,
War königlicher Gunst verzognes Kind.
Doch fiel mein Haupt, horch auf, es mußte fallen,
Denn sieh, als leise schon das Wörtchen „Gnade“
Den Weg vom Herzen auf die Lippe nahm,
Erschlug die Tücke meines Nebenbuhlers
Das süße Wort; – und als der Herrin Huld
Auch da noch schwankte meinen „Tod“ zu schreiben,
Da führte wer die Hand, Sir Walter, Du!
Vernimm: die alte Schuld deckt nun die neue;
Bereite Dich, Du zahlst sie mit dem Tod.“

Die Stimme schwieg; der Morgen kam – die Zelle
War öd’ und leer. Doch auf dem Gras des Hofes
Lag Thau der Nacht und Walter Raleigh’s Blut.

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